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Berlin Daily 21.12.2024
Artist Talk + Finissage

16 Uhr: im Rahmen der Ausstellung »Chaos & Ordnung«. Photocentrum × Kunstquartier Bethanien | Projektraum | Mariannenplatz 2 · 10997 Berlin

Wer bedient hier wen? Manja Eberts kritischer Blick auf unsere postdigitale Zeit

von Ferial Nadja Karrasch (12.12.2024)


Wer bedient hier wen? Manja Eberts kritischer Blick auf  unsere postdigitale Zeit

Ausstellungsansicht „I’ll be there“ in “HAUT - Hülle, Organ, Archiv“, ZAK–Zentrum für Aktuelle Kunst Berlin, Berlin, 2023, © Ivonne Thein

In einem CD-Ständer – diesem in der Spotify-Epoche aus der Zeit gefallenem Objekt, das früher in jeder Wohnung zu finden war – sind über vierzig Smartphones angeordnet. Die Bildschirme zeigen nach unten, das Licht der abgespielten Videos wird auf die Rückseite des jeweils darunter liegenden Handys geworfen. Es sind Filmchen, wie man sie von Instagram und TiKTok kennt, hier sind sie jedoch verschwommen, unkenntlich gemacht, eigentlich nicht sichtbar. Es geht nicht um Inhalte, es geht um ihren kontinuierlichen Fluss, der über unsere Smartphones täglich in unser Bewusstsein schwappt. Und es geht um die abstrakte Größe der dahinterstehenden Datenmengen, die dadurch entstehen und einen monströsen ökologischen Fußabdruck hinterlassen.
In gewisser Weise wird die Videoskulptur Brubble (2024) der Künstlerin Manja Ebert zu einem Porträt des zeitgenössischen homo digitalis. Sein Blut ist eine Co2-ausdünstende Datensuppe, seine Bestimmung die Produktion von Content – so sinnentleert er auch sein mag. Über diesen Content tritt der homo digitalis mit seinen Zeitgenossen in Kontakt, likes, shares und comments sind der soziale Kit.

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Ausstellungsansicht „Brubble“ in “OWE ME EVERYTHING, AlteFeuerwache, Berlin, 2024, © Manja Ebert

Eberts Ausstellung OWE ME EVERYTHING im Projektraum der Alten Feuerwache setzt sich mit den Auswirkungen auseinander, die die Nutzung digitaler Medien auf unsere Wahrnehmung, unsere soziale Ordnung sowie auf unser Verständnis von Gesellschaft und Realität hat. Und das geht einher mit einer gehörigen Portion Grusel: Die modernen Technologien befeuern unseren Drang nach permanenter Selbstbeobachtung und -darstellung, wodurch wir gleichzeitig immense Mengen an Informationen über unsere Person preisgeben. Über unsere Selbstbeobachtung ermöglichen wir Fremdüberwachung, die wiederum dafür eingesetzt wird, unser Verhalten im Netz zu steuern. Hierauf spielt die Video/Sound-Installation I’ll be there (2018) an, die auf drei Bildschirmen das Gesicht der Besuchenden im Face-Tracking-Netz zeigt. Über ein Touchpad wird der Befehl zum Abspielen des Sounds gegeben, eine verzerrte Computerstimme spielt Snippets bekannter Liebeslieder, in denen Liebe mit Besitzansprüchen und Verfolgung missverstanden wird: „Oh can’t you see, you belong to me“…

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Installationsansicht, “COLLIDING HUMANS”, Raum für drastische Maßnahmen, Berlin,2018, © Manja Ebert

Die Neun-Kanal-Videoinstallation sleepingsquad (2016) erinnert im ersten Moment an Warhols Experimentalfilm Sleep (1963), in dem der Beat-Poet John Giorno beim Schlafen zeigt: Auf den einzelnen Bildschirmen sind unterschiedliche Videos schlafender Männer und Frauen zu sehen, die die Künstlerin auf der Community-Plattform younow.com gefunden hat. Allerdings geht es in diesen Sequenzen nicht um die Auseinandersetzung mit dem Medium Film, sondern – again – um das Bedienen einer hungrigen, profitorientierten Content-Maschinerie. Die kleinen Symbole am unteren Rand der Aufnahmen informieren uns über den Erfolg des jeweiligen Posts: Die junge Frau, deren Kopf auf einem mit „love xoxo“ bedruckten Kissen ruht, hat 827 Likes, 16 Personen schauen ihr zu (Streamingzeit: 5:35:14), eine Mitstreiterin hat zwei Zuschauer*innen und vier Likes… (Streamingzeit: 5:39:43). Passivität und Aktivität fallen in eins. Man kommt nicht umhin sich zu fragen: Was um alles in der Welt bringt einen Menschen dazu, sich beim Schlafen zu filmen und den Blick auf sich selbst in diesem intimen, unkontrollierbaren, verletzlichen Zustand preiszugeben. Die Antwort liegt in der Ökonomie des Internets. Annekathrin Kohout schreibt in dem Katalog Manja Ebert, Me – Ästhetik der (Selbst)Kontrolle, der anlässlich des Goldrausch Stipendiums 2020 erschien: „Für Sendezeit [bei der Onlineplattform younow.com] erhält man sogenannte Coins, mit denen wiederum Geschenke und Interaktionswerkzeuge erworben werden können. Sich beim Schlafen zu streamen, das bedeutet demnach leicht verdiente Coins.“
Die Arbeit verdeutlicht, wie kompromisslos manche User*innen sich dem Diktat der digitalen Technologie ergeben. OWE ME EVERYTHING... Grusel.

Do, 12. Dezember, 19 Uhr, Künstleringespräch mit Manja Ebert und Peggy Schoenegge Do, 16. Januar, 19 Uhr, Ausstellungsführung mit Peggy Schoenegge

OWE ME EVERYTHING
Manja Ebert

Ausstellungsdauer:
30. November 24 – 2. Februar 25

Öffnungszeiten
So–Mi 12:00-19:00 Uhr
Do–Sa 12:00-20:00 Uhr

Alten Feuerwache
Marchlewskistr. 6
10243 Berlin

Ferial Nadja Karrasch

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