18 Uhr: a fresh series of events that combines the intimate atmosphere of a listening room with transformative healing sessions, kuratiert von Serafyma Brig und Adomas Laurinaitis. ACUD MACHT NEU | Veteranenstr. 21 | 10119 Berlin
Omer Fast, einer der renommiertesten Film- und Videokünstler, stellt sich mit seiner neuesten Produktion zahlreichen komplexen Fragen unserer Zeit. „Abendland“ heißt passenderweise sein dritter Langfilm, der jetzt in die Kinos kommt. In einer offenen, stellenweise experimentellen Erzählweise geht es um Utopien, um (identitäts)politischen Widerstand, um Flucht und nicht zuletzt um das Fremde in uns und in der Natur. Ein weites Feld also, das der Regisseur „beackert“, indem er sich gleichermaßen auf aktuelle Geschehnisse wie auf literarische Vorlagen bezieht.
„Abendland“ beginnt mit der Auseinandersetzung zwischen gewaltbereiten Klimaaktivisten und Waldarbeitern bzw. einer schwer bewaffneten Polizeieinheit. Man erinnert sich an die Fernsehbilder vom Hambacher Forst und vielen anderen Demonstrationen mit regelrechten Schlachtszenen. Bei Omer Fast tragen die Aktivisten jedoch keine Sturmhauben oder Palästinensertücher, sondern phantasievolle, eher an Fasching erinnernde Masken und Kostüme. Was am Anfang wie ein spielerischer Versuch wirkt, sich im politischen Kampf unkenntlich zu machen, bleibt als irritierendes bzw. verfremdendes „Requisit“ konstant erhalten. Alle Schauspieler bleiben über die gesamte Filmlänge hinweg hinter Masken und Verkleidungen verborgen. Dass das erstaunlicherweise so gut funktioniert, ist formalästhetisch das Überraschendste an diesem Film.
Die Demonstranten werden niedergeknüppelt und nur die als Angela-Merkel getarnte Hauptfigur kann sich retten. Sie verirrt sich im Wald. Nach einem kräfteraubenden Parcour landet sie bei weltabgewandten Baumhausbewohnern in einem dschungelartigen Ambiente. Es beginnt eine mehrfach verdrehte Robinson Crusoe Geschichte. Zwar geht es auch hier ums Überleben eines Einzelnen, aber der geführte „Kampf“ gegen die Natur ist eingebettet in eine Flucht und in eine anschließende gruppendynamische Geschichte.
Eine Fluchtgeschichte über bzw. mit „Angela Merkel“ zu erzählen, ist eine gleichermaßen kühne wie freche Idee. Fast wie eine romantisch-wagnerianische Motivkette muss diese Angela Merkel Figur sich zahlreichen Prüfungen unterziehen, die sie halbwegs unbeschadet übersteht. Das wird durchaus spannend inszeniert, fast ein bisschen „splatter-movie like“. Denn es kommt auch zu rätselhaften und gefährlichen Begegnungen. Doch schlussendlich trifft sie auf eine Gruppe, die der Gruppe der Klimaaktivisten - nicht unähnlich ist.
Nicht nur durch die Kameraeinstellungen, sondern auch durch den score entsteht eine fast traumhafte Atmosphäre, die an „Alice im Wunderland“ erinnert - an einen Traum, eine Phantasie, einen anderen Möglichkeitsraum. Die Waldbewohner tragen vorzugsweise Tier- oder Comicfigurmasken. Sie sind eine sektenartig anmutende Ökogruppe, die nach eigenen Regeln lebt. Hierzu gehört nicht nur das strenge Gebot, sich sämtlicher Erinnerungen zu entledigen, alles Private, Persönliche zu „löschen“, sondern auch der regelmäßig vollzogene Maskentausch. In einem geheimnisvollen Ritual wird dies inszeniert. Ziel der Gruppe ist es, alles dafür zu tun, dass nie so etwas wie eine Identität entsteht. Jeder kann jeder sein. Oder der andere, das bist auch du! Doch wer bin ich dann? Und wie viele?
Der Mensch als Persona, als Maske, hinter der sich letztendlich NICHTS verbirgt, - denn er ist nur ein Sammelsurium von Ideen, Regeln, Tabus und Traditionen - , das ist die eigentlich bitterböse Message. Für Omer Fast tragen in unserer westlichen Demokratie alle irgendwelche Masken, nicht nur die Politiker oder die Schauspieler. Und die Behauptung, es gäbe so etwas wie eine Identität, stünde ohnehin grundsätzlich in Frage.
Ob dies jedoch als Kritik oder als reine Feststellung gemeint ist, bleibt unklar. Ist der Film also eine Parabel oder ein Märchen? Sind Utopien für Omer Fast am Ende grundsätzlich lächerlich? Will er das zum Ausdruck bringen, wenn er die Baumbewohner in unglaublich platten Phrasen sprechen lässt? So bleibt vieles leider nur im Vagen.
Nichtsdestotrotz ist „Abendland“ ein innovativer Beitrag in einem ansonsten eher langweiligen deutschen Kinojahr.
ABENDLAND
R: Omer Fast, C: Stephanie Amarell, Susanne Bredehöft, Berna Kilicli, Benedikt Laumann, Ivy Lißack, Sebastian Schneider, K: Lukas Strebel
DE 2024, 115 Min
Eine Filmgalerie 451 Produktion - gefördert von BKM, Medienboard Berlin-Brandenburg, Deutscher Filmförderfonds
Der Kinofilm ABENDLAND des Videokünstlers Omer Fast startet am 5. Dezember 2024 in den Kinos.
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