logo art-in-berlin.de
Berlin Daily 22.12.2024
Shu

18 Uhr: a fresh series of events that combines the intimate atmosphere of a listening room with transformative healing sessions, kuratiert von Serafyma Brig und Adomas Laurinaitis. ACUD MACHT NEU | Veteranenstr. 21 | 10119 Berlin

Angela Merkel muss flüchten – der neue Film von Omer Fast: „Abendland“

von Daniela Kloock (05.12.2024)


Angela Merkel muss flüchten – der neue Film von Omer Fast: „Abendland“

Still 3, © Filmgalerie 451

Omer Fast, einer der renommiertesten Film- und Videokünstler, stellt sich mit seiner neuesten Produktion zahlreichen komplexen Fragen unserer Zeit. „Abendland“ heißt passenderweise sein dritter Langfilm, der jetzt in die Kinos kommt. In einer offenen, stellenweise experimentellen Erzählweise geht es um Utopien, um (identitäts)politischen Widerstand, um Flucht und nicht zuletzt um das Fremde in uns und in der Natur. Ein weites Feld also, das der Regisseur „beackert“, indem er sich gleichermaßen auf aktuelle Geschehnisse wie auf literarische Vorlagen bezieht.

„Abendland“ beginnt mit der Auseinandersetzung zwischen gewaltbereiten Klimaaktivisten und Waldarbeitern bzw. einer schwer bewaffneten Polizeieinheit. Man erinnert sich an die Fernsehbilder vom Hambacher Forst und vielen anderen Demonstrationen mit regelrechten Schlachtszenen. Bei Omer Fast tragen die Aktivisten jedoch keine Sturmhauben oder Palästinensertücher, sondern phantasievolle, eher an Fasching erinnernde Masken und Kostüme. Was am Anfang wie ein spielerischer Versuch wirkt, sich im politischen Kampf unkenntlich zu machen, bleibt als irritierendes bzw. verfremdendes „Requisit“ konstant erhalten. Alle Schauspieler bleiben über die gesamte Filmlänge hinweg hinter Masken und Verkleidungen verborgen. Dass das erstaunlicherweise so gut funktioniert, ist formalästhetisch das Überraschendste an diesem Film.

Responsive image
Still 1, © Filmgalerie 451

Die Demonstranten werden niedergeknüppelt und nur die als Angela-Merkel getarnte Hauptfigur kann sich retten. Sie verirrt sich im Wald. Nach einem kräfteraubenden Parcour landet sie bei weltabgewandten Baumhausbewohnern in einem dschungelartigen Ambiente. Es beginnt eine mehrfach verdrehte Robinson Crusoe Geschichte. Zwar geht es auch hier ums Überleben eines Einzelnen, aber der geführte „Kampf“ gegen die Natur ist eingebettet in eine Flucht und in eine anschließende gruppendynamische Geschichte.

Eine Fluchtgeschichte über bzw. mit „Angela Merkel“ zu erzählen, ist eine gleichermaßen kühne wie freche Idee. Fast wie eine romantisch-wagnerianische Motivkette muss diese Angela Merkel Figur sich zahlreichen Prüfungen unterziehen, die sie halbwegs unbeschadet übersteht. Das wird durchaus spannend inszeniert, fast ein bisschen „splatter-movie like“. Denn es kommt auch zu rätselhaften und gefährlichen Begegnungen. Doch schlussendlich trifft sie auf eine Gruppe, die der Gruppe der Klimaaktivisten - nicht unähnlich ist.

Nicht nur durch die Kameraeinstellungen, sondern auch durch den score entsteht eine fast traumhafte Atmosphäre, die an „Alice im Wunderland“ erinnert - an einen Traum, eine Phantasie, einen anderen Möglichkeitsraum. Die Waldbewohner tragen vorzugsweise Tier- oder Comicfigurmasken. Sie sind eine sektenartig anmutende Ökogruppe, die nach eigenen Regeln lebt. Hierzu gehört nicht nur das strenge Gebot, sich sämtlicher Erinnerungen zu entledigen, alles Private, Persönliche zu „löschen“, sondern auch der regelmäßig vollzogene Maskentausch. In einem geheimnisvollen Ritual wird dies inszeniert. Ziel der Gruppe ist es, alles dafür zu tun, dass nie so etwas wie eine Identität entsteht. Jeder kann jeder sein. Oder der andere, das bist auch du! Doch wer bin ich dann? Und wie viele?

Der Mensch als Persona, als Maske, hinter der sich letztendlich NICHTS verbirgt, - denn er ist nur ein Sammelsurium von Ideen, Regeln, Tabus und Traditionen - , das ist die eigentlich bitterböse Message. Für Omer Fast tragen in unserer westlichen Demokratie alle irgendwelche Masken, nicht nur die Politiker oder die Schauspieler. Und die Behauptung, es gäbe so etwas wie eine Identität, stünde ohnehin grundsätzlich in Frage.
Ob dies jedoch als Kritik oder als reine Feststellung gemeint ist, bleibt unklar. Ist der Film also eine Parabel oder ein Märchen? Sind Utopien für Omer Fast am Ende grundsätzlich lächerlich? Will er das zum Ausdruck bringen, wenn er die Baumbewohner in unglaublich platten Phrasen sprechen lässt? So bleibt vieles leider nur im Vagen.
Nichtsdestotrotz ist „Abendland“ ein innovativer Beitrag in einem ansonsten eher langweiligen deutschen Kinojahr.

ABENDLAND
R: Omer Fast, C: Stephanie Amarell, Susanne Bredehöft, Berna Kilicli, Benedikt Laumann, Ivy Lißack, Sebastian Schneider, K: Lukas Strebel
DE 2024, 115 Min

Eine Filmgalerie 451 Produktion - gefördert von BKM, Medienboard Berlin-Brandenburg, Deutscher Filmförderfonds

Der Kinofilm ABENDLAND des Videokünstlers Omer Fast startet am 5. Dezember 2024 in den Kinos.

Daniela Kloock

weitere Artikel von Daniela Kloock

Newsletter bestellen




top

Titel zum Thema Filmbesprechung:

Angela Merkel muss flüchten – der neue Film von Omer Fast: „Abendland“
Filmbesprechung

Höllenfahrt mit Pinzette. Der neue Film über Leni Riefenstahl von Andres Veiel
Filmbesprechung: Pinzetten nutzt der Mensch, wenn etwas besonders delikat ist, oder schlichtweg Ekel erzeugt. Andres Veiel hat „sein Material“, wie er in zahlreichen Interviews betont, mit eben diesem Werkzeug gesichtet und bearbeitet.

E.1027 - Eileen Gray und das Haus am Meer
Filmbesprechung: ... ein kluger Film über eine außergewöhnliche Künstlerin

CROSSING - der neue Film von Levan Akin („Als wir tanzten“)
Filmbesprechung: Ein grandioses Antidot in diesen düsteren Zeiten ...

Dorthin, wo man nichts mehr sieht ….
Filmbesprechung zu Thomas Arslan - Helle Nächte (2017) im Rahmen der Ausstellung des Filmemachers Thomas Arslan im n.b.k Heute im Kino Arsenal.

Verbrannte Erde - Thomas Arslan
Filmbesprechung: Verbrannte Erde, so heißt der neue Film von Thomas Arslan, der einfach alles kann: Western, Road-Movie und Thriller.
(Filmstart 18.7.Juli 2024)

ANSELM - oder warum der neue Film von Wim Wenders über Anselm Kiefer Kitsch ist
Filmbesprechung von Daniela Kloock

In den Uffizien - ein Dokumentarfilm von Corinna Belz und Enrique Sánchez Lansch
Heute auf 3SAT | 22.20 Uhr: Unsere Filmbesprechung

Die Frau des Dichters. Über die Malerin Güler Yücel.
Filmbesprechung von Daniela Kloock

Vorsichtshalber sollten wir davon ausgehen, dass wir alle in Gefahr sind
Filmbesprechung: „Wir könnten genauso gut tot sein“ ist der erste Langfilm und Abschlussfilm (HFF) der Regisseurin Natalia Sinelnikova. Schon allein der Titel erregt Aufmerksamkeit, das Thema erst recht.

Sag mir, wo die Blumen sind…
Filmbesprechung: „Hive“ – das preisgekrönte Filmdebut der albanisch-kosovarischen Regisseurin Blerta Basholli

MONOBLOC – wie ein Plastikstuhl sein Image verändert
Filmbesprechung: In den Sommermonaten hat der Monobloc seinen großen Auftritt. Beim Grillfest, in der Strandbar, auf dem Campingplatz oder Balkon, vor der Eisdiele oder Fritten Bude, überall begegnet man dem weißen Plastikstuhl.

Jahresrückblick: Unsere besten Filmbesprechungen
Für Kunst+Film ist bei art-in-berlin Daniela Kloock zuständig. Hier eine Auswahl ihrer Filmbesprechungen 2021.

Regeln am Band, bei hoher Geschwindigkeit. Ein Film von Julia Lokshina
Filmbesprechung: Um den Bedarf an Steaks, Koteletts und Schinken abzudecken, werden hierzulande 55 Millionen Schweine geschlachtet.

Im Land meiner Kinder
Filmbesprechung: Der Film geht existentiellen Fragen zu Identität, Integration und Selbst- und Fremdwahrnehmung nach. Polemik oder erzieherischer Impetus - welcher so viele deutsche Filme zu dem Thema charakterisiert, bleiben außen vor.

top

zur Startseite

Anzeige
Rubica von Streng

Anzeige
aladag Magdeburg

Anzeige
Responsive image

Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Schloss Biesdorf




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Haus am Lützowplatz / Studiogalerie




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
a.i.p. project - artists in progress




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.




© 1999 - 2023, art-in-berlin.de Kunstagentur Thomessen Hartlieb-Kühn GbR.