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Hol dir den Körper; sei der Glitch ... Laura Ranglack über ihre Arbeit zu Hedy Lamarr

von (09.11.2024)


Hol dir den Körper; sei der Glitch ... Laura Ranglack über ihre Arbeit zu Hedy Lamarr

Laura Ranglack, diffracted reflection, 2024. Widerstand* und Störungen (Entwurf); im Original dreiteilig, Digitalvilla, Universität Potsdam. Courtesy the artist.

Ein Interview mit Laura Ranglack von Verena Voigt M.A., Kuratorin und Leiterin des Kunstvereins Gesellschaft für zeitgenössische Konzepte e.V. (Potsdam)

Der 9. November ist der Tag der Erfinder*innen, kalendarisiert nach dem Geburtstag der Schauspielerin und „Erfinderin“ des Frequenzsprungverfahrens Hedy Lamarr (Hedwig Eva Maria Kiesler, *9. November 1914 Wien, † 19. Januar 2000 Altamonte Springs, Florida).  Am 9. November gedenkt die Fan-Gemeinde der in Wien geborenen Hedwig Maria Kieslers ihres 110. Geburtstags. Die Künstler*in Laura Ranglack aus Potsdam, aka Galaxaura, DJ, Cultural Worker und feministische Medientheoretiker*in beschäftigt sich aus glitch-feministischer Perspektive mit den Narrativen, die Hedy Lamarr umgeben. Gerade (16.10.24) hat sie für die Sammlung GLITCH PHENOMENA 3.0 der Digitalvilla in Potsdam ein dreiteiliges Metallic-Fotoobjekt, ein geglitchtes Porträt mit dem Titel „diffracted reflection“ produziert.

Verena Voigt: Als Medienwissenschaftler*in und Glitch Aktivist*in erforschst Du die Potentiale des Glitchs in analoger Videokunst anhand visueller Experimente im Kontext von „Glitch Feminismus“. Mit Referenz auf Alisa Kronbergers Publikation „Diffraktionsereignisse der Gegenwart. Feministische Medienkunst trifft Neuen Materialismus (2022)“ hast Du die Glitch-Theorie mit neuen Aspekten der „Diffraktion“ konfrontiert. Mit dem neuen Porträt von Hedy Lamarr als „Diffraktionsereignis“ kritisierst und dekonstruierst Du erstmals die eindimensionale Schönheitsnorm Hollywoods, die Kommerzialisierung, Sexualisierung und Stilisierung Hedy Lamarrs. GLITCH FEMINISMUS trifft auf eine ikonische Frauengestalt des vergangenen Jahrhunderts, einen Super-Star der Film-Industrie. Was wissen wir von Hedwig Maria Kiesler aka Hedy Lamarr? 

Laura Ranglack: Hedy Lamarr war nicht nur die „Schönste Frau des 20. Jahrhunderts“, sondern gilt auch als Filmgöttin, Antifaschistin und wird als Erfinderin von Bluetooth und WLAN gehandelt. Sie hat für ihr Leben gern erfunden. Erfindungen, wie Tabletten zur Herstellung von Sprudelwasser oder Verbesserungen an Verkehrsampeln sind heute weniger bekannt als die von ihr patentierte Frequenzsprung-Technik. Diese hat sie sich allerdings weder ausgedacht noch wurde sie in der vorgeschlagenen Form umgesetzt, brachte ihr aber den Ruhm als Erfindergeist ein. Die Biografin Michaela Lindinger bezeichnet es als eine „urban legend“. Dennoch wird der „Tag der Erfinder*innen” an ihrem Geburtstag begangen. Lamarr, die dem jüdischen Kulturkreis angehört, ist bis heute Inspiration für Frauen in der Wissenschaft, vor allem jener, die zu wenig Anerkennung für ihr Engagement erhalten. Aber diese überzeichnete Geschichtsschreibung macht sie auch zum Token und verdeckt die Diskriminierungen und Ausschlüsse, die bis heute in der Wissenschaft und vielen anderen Bereichen stattfinden.

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Laura Ranglack, Videoinstallation „Extase“ (Ausschnitt), Digitalvilla, Universität Potsdam, Zentrum Industrie 4.0, Widerstand* und Störungen, 2024. Foto: Verena Voigt. Courtesy the artist.

Verena Voigt: Die Verbindung von Diffraktion und GLITCH-Theorie schaffen neue Deutungsperspektiven. Das ist Deine Erfindung. Du beschäftigst dich mit Übergangsphänomen, Dekonstruktionen, Störungs- und Widerstands*-mechanismen: Das Doppelspalt-Experiment, Interferenzmuster, Löschung und Verstärkungen von Wellen bis zum Kollaps, Zufallsfixierungen – all diese physikalischen Theorien werden aufgerufen und stehen nun auch im feministischen Diskurs zur Verfügung. Was bedeutet das für Deine künstlerische Produktion und das Nachdenken darüber?

Laura Ranglack: Ich versuche, den feministischen Diskurs, der die Medien- und Videokunst von Anfang an begleitet hat, zu aktualisieren und queer-feministische Anliegen medientheoretisch auszuloten. Die optische Metapher der Reflexion, also die der Spiegelung ist eine Analogie des „Zweite-Welle-Feminismus“, in dem es vorrangig um die Gleichheit unter weißen, heteronormativen, mittelständischen Frauen ging – wie auch Hedy Lamarr eine war. Andere Lebensrealitäten abseits dieser Norm haben in dieser Zeit noch keine große Rolle gespielt.
Die Reflexion steht für ein dualistisches Denken, dass Karen Barad und Donna Haraway ablehnen. Es geht darum, Unterschiede und Komplexität anzuerkennen und produktiv zu machen & neue Verbindungen und Perspektiven dazuzugewinnen. Haraway kritisiert damit dominante epistemologische Traditionen, die auf Oppositionen beruhen (Mann-Frau/Kultur-Natur/Subjekt-Objekt). Barad, die aus der Quantenphysik kommt, benutzt den Begriff, um die Verflochtenheit der Welt und das „Intra-Agieren“ von Beobachter*innen und Beobachtetem zu beschreiben. Diffraktion ist also ein Konzept, das beschreibt, wie die Wechselwirkungen zwischen Materie, Diskurs und Wissen immer neue Realitäten und Bedeutungen hervorbringen. Diese Offenheit im Prozess und der Bedeutungsgenese sind mir wichtig und im Bestfall intra-aktiv. Die Welt und die Kunst sind in diesem Sinne immer in einem relationalen Werden begriffen, gestaltbar und unkartiert.

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Laura Ranglack: Videoinstallation „Extase“ (Ausschnitt),
Digitalvilla, Zentrum Industrie 4.0, Universität Potsdam,
Widerstand* und Störungen, 2024.
Foto: Verena Voigt. Courtesy the artist.


Verena Voigt: Glitch-Filter zu benutzen, ist in der Glitch Community nicht unbedingt „üblich“.
Warum machst Du das trotzdem? 

Laura Ranglack: Domestizierte Glitches, also jene, die mit programmierten Filtern hervorgerufen werden, werden meist als bloßes Klischee abgewertet, die ihr subversives Potential verloren hätten. Auch die Kunstfigur Hedy Lamarr ist zu einem Klischee, einer eindimensionalen Schablone geworden. Ihre Person und Geschichte wurden glattgebügelt und von jenen ambivalenten Spannungen befreit, die ein Leben ausmachen und die sich nicht immer gut verkaufen lassen: Ein Märchen wie das von Schneewittchen, dessen Vorlage sie ist. Einem Klischee mit einem Klischee zu begegnen, ist für mich ein spannendes Gedankenspiel. Was dann wohl dabei herauskommen möge? Vielleicht ergibt Minus mal Minus Plus (-*-=+) → Herauskommt eine sichere Passage à la Legacy Russell, in der sich geglitchte/queere Körper sicher bewegen können, ohne vom „male gaze" oder superlativen Fremdzuschreibungen bedrängt zu werden. Vielleicht ist auch Hedy Lamarr in meinen geglitchten Interpretationen sicher, unerkannt, frei von Bewertung und sexualisierender Objektifizierung. 

Verena Voigt: War Hedy Lamarr für Dich im Rückblick eine Widerstandskämpferin? Wie stellt sich Dir heute das politische Engagement dar? Denkst Du, dass sie z.B. in den USA instrumentalisiert wurde?

Laura Ranglack: Mit ihrer Idee des „frequency hopping” wollte sie eine störungsfreie Fernsteuerung für amerikanische Torpedos in die Kriegsführung gegen die U-Boote der Nazis einbringen. Außerdem hat sie viele Millionen Dollar Kriegsanleihen von der amerikanischen Bevölkerung eingeholt, um Aufrüstung für den Krieg zu finanzieren. Die amerikanische Regierung und im Besonderen das Militär haben von der Ikone sehr profitiert und haben diese Superlative deswegen auch verbreitet.

Ein besonders problematischer Film „White Cargo” (1942), in dem sie als eine der „weißesten” Frauen „geblackfaced“ wurde, sollte die Soldaten von den Kriegsleiden ablenken und ihre patriotische Moral stärken. Ihr rassifiziert dargestellter Körper dekorierte Kriegsflugzeuge und vieles mehr.

Ob man diese rassistischen und sexistischen Gebaren als Aktivismus bezeichnen sollte, möchte ich ganz entschieden in Frage stellen, aber ihr Wunsch, das Naziregime zu bekämpfen, ist immer wieder sehr deutlich geworden. Sie hat wohl alles in ihrer Macht Stehende getan, um Hitler den Garaus auszumachen. Auf der anderen Seite war sie mit Fritz Mandl verheiratet, der auch „Kaufmann des Todes“ genannt wurde, denn er verkaufte Kriegsgerät an die Faschisten Europas. Zu dieser Zeit soll sie mit Mussolini und anderen hochrangigen Faschisten Zeit verbracht haben. Vor Fritz Mandl ist sie dann aber nach Hollywood geflohen. Da ist sie wieder, diese unterrepräsentierte Ambivalenz.

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Laura Ranglack, Videoinstallation „Extase“, Digitalvilla, Zentrum Industrie 4.0, Universität Potsdam, Widerstand* und Störungen. 2024. Foto: Verena Voigt. Courtesy the artist.

Verena Voigt: Was bedeutet es heute, als Glitch Aktivistin unterwegs zu sein? 

Laura Ranglack: Ich habe ein politisches Verständnis von Glitch Art. Auch der Titel unseres Projektes „Widerstand* und Störungen“ zeigt die Säulen des Glitchs auf. Er widersetzt sich Eindeutigkeiten. Er stört die Norm(alität). Er verweist auf Strukturen von Macht und Kontrolle. Er widersetzt sich Erwartungen. Wer sich für das Thema interessiert, sollte sich mit Rosa Menkmans „Glitch Studies Manifesto“ und „Glitch Feminism“ von Legacy Russell beschäftigen. Die subversive Ästhetik des Glitchs bricht mit traditionellen Vorstellungen von Schönheit. Unter Umständen geraten wir ins Grübeln, wie Medien und Technologien unsere Wahrnehmung der Welt beeinflussen. Verena, du hast gesagt, dass Glitch etwas ist, das zwischen Politik, Protest, Dekonstruktion und Identität oszilliert. Dieser Queersumme kommen wir auf die Spur.

Verena Voigt: Du hast Dich intensiv mit Hedy Lamarr beschäftigt. Spiegelnde Oberflächen spielen in der materiellen Umsetzung deiner Glitch Artefakte eine wichtige Rolle. Wie verbindet sich all dies mit dem neuen Werkkomplex „diffracted reflection"?

Laura Ranglack: Mein neuer Werkkomplex greift auf unterschiedlichen Ebenen die Reflexionsfähigkeit auf, die sowohl eine optische, epistemologische und feministische Metaphorik enthält. Beim Betrachten spiegeln wir uns in ihrem Antlitz und zugleich ist es eine Referenz an den Spiegel, als omnipräsentes Zeichen für Schönheitsnormierung und Selbstbewertung. Wir spiegeln uns in dem Erbe Hedy Lamarrs, die sich als Schneewittchen in unserer gesellschaftlichen Matrix, als unschuldige Schönheit eingenistet hat. Dass diese Schönheit belastet, zeigen die Zahlen zur Schönheitsoperationen. Vielleicht lässt uns das darüber reflektieren, wie beeinflusst unsere Selbstwahrnehmung durch Medien und Kultur ist. Auch der Glitch soll aufstören, irritieren, das Gesetzte herausfordern und so zur REFLEXION anregen. Er verweist auf die Medialität des Mediums und ist so fast ein Gegenkonzept der Immersion, die vereinnahmt, sondern es ist ein Schritt zurück in die Abstraktion möglich.

Auch die Diffraktion ist Denkfigur unterschiedlicher Diskurse der Wissenschaft. Hier geht es um Beugung von Wellen, die sich in Interferenzmustern überlagern, verstärken und auslöschen können. Wichtig ist das Unterlaufen der Trennung und die Betonung der Verbundenheit oder Verschränkung von Dualismen wie Bild und Abbild. Die diffraktiven Interferenzmuster sind auch ein wunderbares Bild für den Glitch, denn auch hier werden Ströme überlagert, gebrochen und neue Verbindungen von Ästhetik und Bedeutung geschaffen, ein Fenster zur Medialität und auf das Funktionieren des Mediums geöffnet
Zudem steht die Diffraktion für eine Aktualisierung feministischer Theorie, denn auch heute gibt es einen Anspruch auf intersektionales Denken, die Anerkennung von Differenzen und deren komplexe Wirkungsweisen. Nach Legacy Russell sind queere Körper Glitches in der heteronormativen Matrix und diese werden im Glitch Feminismus explizit mitgemeint und auch dazu aufgefordert, zum Glitch zu werden. Also hol dir den Körper; sei der Glitch.

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Laura Ranglack: „Lady Bluetooth“ (Objekte), Widerstand* und Störungen, 2024 Foto: Laura Ranglack

HINTERGRUND: Zum „Einzug“ in die Digitalvilla installierte Laura Ranglack im Zentrum Industrie 4.0 eine digital dekonstruierte Version des Skandalfilms Extase (1933) von Gustav Machatý, in dem Hedy Lamarr die Hauptrolle spielt. In Zusammenarbeit mit Stephan Sailer (Technischer Leiter des Zentrum Industrie 4.0) wurden diese und eine weitere temporäre Intervention – „Lady Bluetooth“ - auf dem Hedy-Lamarr-Platz entwickelt.

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Laura Ranglack: Videoinstallation „Lady Bluetooth“, Hedy-Lamarr-Platz, Potsdam, Widerstand* und Störungen, 2024, Foto: Verena Voigt. Courtesy the artist.

Das Projekt „Widerstand* und Störungen“ wird von Verena Voigt M.A. (GFZK e.V.) kuratiert und ist gefördert von der Landeshauptstadt Potsdam & der Digitalvilla. Das Porträt von Hedy Lamarr ist das vierte GLITCH-Objekt der Institutssammlung, das die GFZK e.V. (neben Artefakten von Rosa Menkman, Nadja Verena Marcin & Katrin Leitner) für den Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik Systeme & Prozesse produziert hat. Der Vorschlag, den dreieckigen Platz in Neubabelsberg nach der Erfinderin Lamarr zu benennen, geht auf Univ.-Prof. Dr. Ing. habil. Norbert Gronau, Inhaber des Lehrstuhls Wirtschaftsinformatik, Prozesse & Systeme der Universität Potsdam zurück. Die Sammlung GLITCH PHENOMENA 3.0 kann auf Anfrage besucht werden.

Weitere Informationen & Kontakt:
GFZK e.V.
www.verena-voigt-pr.de
kontakt[at]verena-voigt-pr.de
Laura Ranglack (she/they) aka Galaxaura
soundcloud.com
www.instagram.com

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