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Sigmar Polke im Schinkel Pavillon. Mit einem breiten Grinsen, den Pinsel in der Hand.

von Maximilian Wahlich (28.09.2024)
vorher Abb. Sigmar Polke im Schinkel Pavillon. Mit einem breiten Grinsen, den Pinsel in der Hand.

Sigmar Polke, Tischrücken (Séance), 1981, Sammlung Speck, Köln / Installationsansicht: Sigmar Polke. Der heimische Waldboden. Höhere Wesen befahlen: Polke zeigen!, Schinkel Pavillon, Berlin, 2024/25, Foto: Frank Sperling; VG Bild - Kunst, Bonn 2024

Im Schinkel Pavillon sind derzeit unter dem Titel Der heimische Waldboden. Höhere Wesen befahlen: Polke zeigen! über 40 Werke von Sigmar Polke (1941-2010) zu sehen. Polke studierte zeitgleich mit Gerhard Richter an der an der Düsseldorfer Kunstakademie. Die beiden begründeten Anfang der 1960er-Jahre zusammen mit Konrad Lueg (Künstlername des späteren Galeristen Konrad Fischer), Sigmar Polke und Manfred Kuttner den sogenannten Kapitalistischen Realismus: Unter dem Namen planten sie eigene Ausstellungen und setzten sich mit dem Kunst- und Kulturbetrieb der BRD auseinander, wobei sie stilistische Bezüge zur amerikanischen Pop-Art herstellten. Inzwischen hängen Sigmar Polkes Werke in bedeutenden Sammlungen und Museen weltweit.
Warum gerade dieser Künstler jetzt im Schinkel Pavillon zu sehen ist, bleibt weitgehend unklar. In der Regel werden in dem klassizistischen Bauwerk junge Künstler*innen zu aktuellen Themen präsentiert. Mittlerweile renommierte Kunst, wie sie ein Polke machte, oder monografische Ausstellungen zu verstorbenen Künstler*innen sind hier eher selten.

Die Ausstellung teilt sich weniger in ein Ober- und Unterschoss. Die beiden Ebenen sind durch die großen achteckigen Räume verbunden. Hier hängen vor allem großformatige Werke. In den Nebenräumen finden sich Werkgruppen und Videoarbeiten. Das Untergeschoss ist abgedunkelt und verwinkelt. Die Stimmung ist mystisch. Der räumlichen Situation entsprechend ist Tischrücken (Séance) von 1981 prominent platziert. Über dem fast quadratischen rötlichen Untergrund wabern rechtwinklige Formen wie lose Seile. Darüber läuft weiße Farbe, die verschwommen ein Tier, eine Pflanze, eine Wolke, Nebel, eine Baumkrone oder ein Schaf zeigen könnte. Die Form nimmt allerlei Gestalt an, je nach Blickwinkel. Auf der vordersten Bildebene ist ein Tisch skizziert, der sich flink von einer Stelle zur anderen bewegt, so dass sich für das menschliche Auge die Beine biegen. Die Séance findet gerade statt – der Tisch scheint in Bewegung versetzt, die amorphe Form erinnert an Rorschachtests, bei denen Menschen Tintenklecksbilder interpretieren.
Polkes Humor, seine bissigen Kommentare mit seiner Freude am Zufälligen und offen Assoziativen werden in vielen der gezeigten Werke vereint.

Sehr scharf und punktgenau in der Kritik ist dagegen Ohne Titel (Sicherheitsverwahrung) von 1979. Comichaft sind drei Personen dargestellt, versetzt mit Applikationen wie Sicherheitsnadeln, Stickereien auf Leinwand oder Strasssteinen. Die Figuren sind wie in Pop-Art-Bildern festgehalten: Durch die Symbole erhalten sie eine Zuschreibung. Konkret ist niemand zu erkennen, die Gestalten bleiben im Grunde ohne Charakter. Eine Persona kann weiblich gelesen werden. Sie wird von zwei wiederum männlichen Polizisten gewaltsam festgehalten und wehrt sich. Die Nadeln und rötlichen Stickereien erscheinen plötzlich wie Einstiche, Verletzungen oder Wundmale. Wesentlich brutaler und direkter ist das Gemälde Die Schmiede (1975), in dem wir aus der Perspektive des Opfers eines Gewaltverbrechens den Peinigern in die Gesichter schauen. Blutlachen sind bereits in unserem Blickfeld. Die drastische Darstellung von Blut und die gleichzeitige Körperlosigkeit erzeugen Hoffnungslosigkeit, die Täter grinsen. Das Werk macht Angst, versetzt die Betrachtenden in eine hilflose Starre.

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Sigmar Polke, Flüchtende, 1992;
Carré d’Art-Musée d’Art Contemporain,
Nîmes; Photo: David Hugenin. © The Estate of Sigmar Polke/ VG Bild-Kunst, Bonn 2024.


Im Obergeschoss hängt das Gemälde Flüchtende (1992). Es zeigt zwei Menschen in Eile - stark vergrößert, bis die Pixel zu sehen sind. Das ursprüngliche Motiv war ein Pressebild, Polke wollte damit auf die mediale Berichterstattung über Flucht eingehen – für Menschen ohne die existenzielle Erfahrung des Flüchtens sind die damit verbundenen katastrophalen und unwirtlichen Zustände kaum vorstellbar. Fotos, Filme, Berichte, Dokus scheinen oftmals wie Geschichten, als läge zwischen der Zeitung/dem Fernseher und den Betrachtenden ein Schleier. Bis heute hat diese Arbeit, die vor mehr als 30 Jahren entstand, leider nichts von ihrer Aktualität verloren.

Ganz in der Nähe hängt das Bild Gangster (1988). Auf einem glatten, goldenen Untergrund, wie eine Honigplatte, zeichnet Polke einen halb bekleideten Mann, der selbstbewusst die Innenseite seines Mantels öffnet und Waren anbietet. Es geht um die Rolle der Kunstschaffenden und ihren Tricks mit Pigment, chemischen Lösungen und visuellen Effekten. Dabei entsteht das Selbstbild eines Bohemien-Ganoven, eines zwielichtigen Alchemisten. Die Ausstellung zeigt mehrere Werke, in denen Polke mit seinen eigenen Tricks überzeugt. Ich stelle mir vor, wie er sich mit einem breiten Grinsen, den Pinsel in der Hand, über das Staunen der Betrachtenden freuen würde.

Ausstellungsdauer: 12. September 2024 – 2. February 2025

Schinkel Pavillon
Oberwallstraße 32
10117 Berlin
schinkelpavillon.de

Öffnungszeiten/ opening hours
Do & Fr, 14:00–19:00, Sa & So, 11:00–19:00

Maximilian Wahlich

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