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Die Aneignung der Steine. Lucy Ravens Film-Installation in der Neuen Nationalgalerie

von Maximilian Wahlich (20.04.2024)
vorher Abb. Die Aneignung der Steine. Lucy Ravens Film-Installation in der Neuen Nationalgalerie

Lucy Raven, Ready Mix, Ausstellungsansicht Neue Nationalgalerie, 10.2.-21.4.2024 © Courtesy die Künstlerin und Lisson Gallery / Dia Art Foundation / Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Der obere Ausstellungsraum der Neuen Nationalgalerie ist ein riesiges Foyer. Edle Materialien wie Granitfußboden, Marmorsäulen und Glaswände zeigen, prunken, repräsentieren. Der Raum ist offen und verbindet das Innen und Außen. So dehnt sich die Ausstellungsfläche bis an den Rand der Terrasse. Dort geht es einige Dutzend Meter in die Tiefe der Baugrube für das berlin modern, eines von Berlins Neubauprojekten.
Mitten in der Halle befindet sich eine große Leinwand. Zu sehen ist Lucy Ravens (*1977 in Tucson, Arizona, USA) 45-minütige Videoarbeit "Ready Mix" (2021). Das Licht fällt sanft – der Raum ist hell und das Video scharf. Dieser Ort würde sich auch bestens als Kinosaal eignen. Die Aufenthaltsdauer gestaltet sich gut, die meisten Menschen schauen den ganzen Film.

Es raucht Staub. Ohrenbetäubendes Rauschen. Tausende von Steinen knallen auf ein Sieb. Sie rasseln wie Tropfen auf ein Feld. Fließbänder transportieren Steinberge durch Waschanlagen. Maschinen reinigen, zermalmen, sortieren. Sie vibrieren hektisch, rottern unentwegt, ruhelos. Sie sind laut und schwer mit massiven Armierungen, Schrauben, Stahlbehältern. Die Geräuschkulisse ist laut. Der Ton und die streng komponierten Bilder scheinen wie in einer Montage zusammengesetzt.
Die Bilder erinnern an abstrakte Gemälde: Aus der Luft sind große Lastwagen zu sehen, die Steine abtragen und abkippen - ihre Container entleeren das feuchte, dunkle Geröll auf eine trocken staubige Halde. Reifenspuren ziehen sich wie breite Pinselspuren durch den hellgrauen Fond. Die Motive sind ruhig – klare Linien, starke Kontraste und ins Auge springende Details spicken monotone Flächen: Stein für Stein wird vor der Kamera eine Mauer aufgeschichtet, bis auf einen kleinen Ausschnitt, durch den wir hinter der hochgezogenen Mauer einen Traktor fahren sehen. Monotones Fugenraster wird zur handwerklichen Schönheit. Oberflächen werden aufgeraut, geglättet und weich, zerschlagen und kantig. Das alles in grau, schwarz und weiß. Zement verteilt sich, wird porös und mit Wasser glatt gestrichen.

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Lucy Raven, Ready Mix, Ausstellungsansicht Neue Nationalgalerie, 10.2.-21.4.2024 © Courtesy die Künstlerin und Lisson Gallery / Dia Art Foundation / Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Lucy Ravens „Ready Mix“ ist anlässlich der Grundsteinlegung auf der Baustelle nebenan zu sehen, auf der der neue Museumsbau für die Kunst des 20. Jahrhunderts entsteht. Viele Bauwerke sind noch heute von den Architekturen der Moderne geprägt. Ein Beispiel für diesen Stil ist die Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe entworfen. Der Architekt machte eine Ausbildung als Steinmetz und entwickelte ein Gespür für edle Materialien. Der Film porträtiert die Bergung und Herstellung von Baumaterialien für eine Architektur der Moderne. Im Foyer der Neuen Nationalgalerie, das wiederum von einer hohen Wertigkeit an (steinernen) Materialien zeugt, wird das Material schließlich zum Hauptdarsteller. Die Steine bearbeiten sich, passiv – ohne Menschen.
Gedreht wurde der Film in einem Beton- und Kieswerk in Bellevue/Idaho, USA. In dem Film treten nur selten Menschen auf: meistens sind sie anonymisiert als Traktorfahrer*innen, mal ist eine Hand zu sehen, dann wieder ein Hosenbein. Der Ort ist unwirtlich und scheint beinahe ausgestorben. Hier könnte auch die Kritik an der Neuen Sachlichkeit greifen: Einst Maschinenliebe und Ästhetisierung von Arbeitsbedingungen, nun ein Kult um das Material.

Wir haben die Begrenztheit unserer Ressourcen erkannt und nun schauen wir nochmal ganz genau hin. Auffällig ist, dass gegenwärtig mehrere künstlerische Arbeiten um das Material als Baustoff kreisen: Der Gewinner des Wettbewerbs „Kunst am Bau“ für das neue Bauhaus-Archiv setzt sich mit dem verbauten Beton, Glas und Holz auseinander. In der Akademie der Künste wurde erst kürzlich eine Ausstellung zu nachhaltigem Bauen gezeigt, in der das Material des Bauwerks auf seine restauratorischen Herausforderungen und seine Klimaneutralität hin untersucht wurde.
Ravens Film ist ein weiterer Beitrag in dieser Reihe. Allerdings bleiben in dieser Filmarbeit die klimatischen und sozialen Bedingungen weitgehend unsichtbar. Ravens Film ergötzt sich an einem Material und seiner Herstellung, bleibt dabei rein und sauber aufgeräumt - damit ja kein Partikelchen Staub auf die Kunstwerke rieselt. Trotz dieser Kritik ist die kunstvoll sortierte Bildsprache ein gelungener Kontrast zum Berliner Baugeschehen.

Schwarz-Weiß-Video
Quadrophonie-Sound, Bildschirm aus Aluminium / Sperrholz und Sitzstruktur aus Aluminium
45 Minuten
Regisseurin und Editorin: Lucy Raven

Lucy Raven
10.02.2024 bis 21.04.2024
Neue Nationalgalerie
Potsdamer Straße 50
10785 Berlin

www.smb.museum


Maximilian Wahlich

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