19:00 Uhr: Verpuppte Kunst. Marionetten in der europäischen Avantgarde. online + Einstein Forum | Am Neuen Markt 7 | 14467 Potsdam
Bob Jones´ Fotografien sind ausdrucksstark, aufgeräumt und könnten direkt als Fotostrecke in einem hippen Kunstmagazin abgedruckt werden. Aktuell sind sie in der Galerie im Tempelhof Museum zu sehen. Die Fotografien arbeiten mit deutlichen Kontrasten, einer klaren Farbgebung, ohne Unschärfen. Meist ist nur eine Person abgebildet, manchmal in Verbindung mit einem Gegenstand wie einem Dildo, einer Brille, pinken Flauschbommeln oder den papierdünnen Grasimitaten aus Sushi-Verpackungen. Die Porträtierten lassen sich räumlich selten verorten, und irgendwie ist das auch erst einmal nicht von Bedeutung. Es geht vielmehr darum, Menschen in verschiedenen Rollen, ihren Alter Egos, als Darsteller*innen ihres eigenen Lebens zu zeigen. Sie sind wie wir, Akteur*innen im Alltagstheater.
In dieser ständigen Inszenierung präsentieren wir uns alle auf unterschiedliche Weise. Auch unser Gefühlsausdruck ist angelernt, sozial geprägt und von Normen bestimmt. "Das Außen verkommt zur Statue, zur leeren Hülle eines Zustands, der immer vergangen ist, denn das Innen ist woanders, weiter gezogen, sich entziehend, ..." schreibt Bob Jones auf der eigenen Website. Manche Gefühle bekommen ein (soziales) Geschlecht zugeteilt, beispielsweise wird das gesamte Gefühlsspektrum der Romantik als weiblich betrachtet, während Aggression oder Wut als männlich besetzt gelten. Bob Jones porträtiert in der Serie „Colère, ma mère, colère!“ (Wut, meine Mutter, Wut!, 2015) wütende Personen, die nicht als männlich gelesen werden. Ohne Kontext bleibt ihre Wut erst einmal nur Wut. So weit so gut.
Die Werkpräsentation mit rund 20 Bildern steht im losen Zusammenhang zum 19. Kunstpreis des Haus am Kleistpark und präsentiert vor allem Fotografien aus der Serie „each face stares“ (Alle Gesichter starren, 2021). Die Einzelporträts zeigen Menschen in ihren Rollen und Selbstinszenierungen. Protagonisten sind die Porträtierten und nur sie, beziehungsweise ihre Layer, ihre Darstellung von sich selbst. Wir sehen, was die Person zeigen will. Spielgefährte ist etwas Dinghaftes wie Schaumstoff, ein Dildo, eine Brille oder braune Sauce. Die Inszenierungen wirken komplex, und es scheint, als müsste das Material/Objekt einen Wesenszug repräsentieren. Ein Zusammengang zwischen Charakter und Objekt/Material ist jedoch selten erkennbar. Verrät uns der Gegenstand etwa, was sich hinter dem selbstsicheren Blick in die Kamera versteckt?
Doch scheint das Dinghafte entkoppelt von den abgebildeten Personen. Es erhält eine eigene Präsenz. Verselbständigt, wird es zum Counterpart, zum eigenwilligen Antagonisten: komisch, irritierend, offen für jedwede Interpretation. Manche Fotos sind lustig, in anderen Fällen verstört der Gegenstand, provoziert. Sei es allein auf den zweiten Blick, ein punctum: Der Philosoph Roland Barthes beschrieb in seiner Fototheorie das punctum als jene Kleinigkeit, die den Blick fesselt und das Motiv ins Gedächtnis einschreibt. In Jones' Fotografien wird das punctum förmlich aufgezwungen. Sie sollen das Motiv aufladen, ihm eine Bedeutungsebene geben. Doch scheinen die gewählten Dinge nicht besonders dialogwillig. Wir sehen selbstbewusste Menschen mit einem Ding. Es obliegt allein meiner Lust an der Fremdzuschreibung, das Objekt mit der dargestellten Person zu lesen und zu verstehen.
Einmal mehr wird deutlich, wie Zuschreibungen funktionieren. Sie sind absurd, willkürlich sowie von Normen und Vorurteilen vordefiniert. In der Ausstellung wird dieser Bogen jedoch nicht gespannt. So beginne ich munter durch die Dinge Eigenschaften an Menschen abzulesen. Manchmal stehe ich jedoch - ungeachtet ihrer ästhetischen Qualität - ein wenig ratlos vor vielen Motiven.
Beyond me
Bob Jones
Ausstellungsdauer
2. Februar – 14. April 2024
Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag
13–18 Uhr
Donnerstag
10–18 Uhr
Galerie im Tempelhof Museum
Alt-Mariendorf 43
12107 Berlin
www.hausamkleistpark.de
Titel zum Thema Galerie im Tempelhof Museum:
Das Außen verkommt zur Statue - Bob Jones in der Galerie im Tempelhof Museum
Noch bis Sonntag (14.4.) ...
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