19 Uhr: Künstlerin mit dem Schwerpunkt Zeichnung. Im Rahmen der Finissage zur Ausstellung "(Dis)ordering Things". oqbo | raum für bild wort ton | Brunnenstr. 63 | 13355 Berlin
© Orkin/Engel Film and Photo Archive; VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Ruth Orkin ist eine Neu- und Wiederentdeckung. Obwohl die Pionierin der Street Photography zu den berühmtesten Fotografinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählt, scheint sie vor allem in Europa kaum bekannt. Das ändert sich jetzt. Derzeit wird die Künstlerin gleich in zwei Hauptstädten gewürdigt. Paris zeigt in der „Foundation Henri Cartier-Bresson“ Bilder und Dokumente ihres „Bike-Trips“ von 1939. Damals reiste Ruth Orkin, gerade einmal 17-jährig, mit ihrem Fahrrad und ihrem Fotoapparat von der Pazifik- zur Atlantikküste. Vier Monate war die junge Frau ganz allein unterwegs. Und das in einer Zeit, in der Unabhängigkeit, Sicherheit und Komfortabilität der heutigen Mobilität vor allem für Frauen noch in weiter Ferne lagen. Über 350 Fotografien entstanden bei dieser mutigen Reise, die bald zusammen mit Zeichnungen und Tagebuchaufzeichnungen ausgestellt wurden. Es sollte der Grundstein ihrer weiteren Karriere werden und der Beginn eines erfolgreichen „Self-Branding“ – wobei dieser Begriff damals noch völlig unbekannt war.
Die Galerie „f3 – freiraum für fotografie“ in Berlin reanimiert das Werk Ruth Orkins auf eine ganz andere Art und Weise. Die Ausstellungsmacherinnen Nadine Barth und Katharina Mouratidi haben in New York mit Hilfe der Tochter der Künstlerin - aus dem von ihr verwalteten Archiv - Fotografien ausgesucht, die noch nie öffentlich zu sehen waren. Und was sie nach Berlin mitgebracht haben, ist toll. Die in ihrer Farbigkeit und Inszenierungslust beeindruckenden Abzüge gleich im Eingangsbereich fokussieren ebenso wie die anderen Bilder der Ausstellung das Thema „weibliche Selbstbestimmung“.
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges gerieten alte Gewissheiten, was die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau anbetrifft, ins Wanken. Ein groß fotokopierter Zeitungsartikel aus der „New York Times“ vom 4. März 1945 dient als Aufhänger für das Dilemma, vor welchem Frauen bis heute stehen: Familie oder Karriere, bzw. unbezahlte Hausarbeit oder bezahlte Leistung im Job?
Ruth Orkin kontrastiert die unterschiedlichen Lebenswelten, für die sich Frauen „entscheiden“ in ihren Schwarz-Weiß-Fotografien der Serie „Who Works Harder?“
New York, 1949. © Orkin/Engel Film and Photo Archive; VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Der Tochter eines Stummfilmstars und Spielzeugdesigners scheint es in die Wiege gelegt, schwierige Themen mit spielerischer Leichtigkeit zu bearbeiten und zu inszenieren. Ob es Frauen unter der Trockenhaube sind oder vor vollgestopften Spülmaschinen, ob es scheinbar gelangweilte mit Klunkern behängte Hundebesitzerinnen sind, oder ganz einfach alltägliche Beobachtungen von Frauen auf Straßen und Plätzen, es ist immer ihr genauer und subversiv kritischer Blick, der überzeugt.
Gezeigt werden auch Fotografien, die in den 1940er und 50er Jahren entstanden, als Ruth Orkin als Studiobotschafterin bei MGM arbeitete. Ihren eigentlichen Traum, Filmemacherin zu werden, konnte sie aufgrund der männlichen Dominanz in dieser Branche bis auf drei Ausnahmen nicht verwirklichen. Immerhin hatte sie so die Gelegenheit, einige der großen weiblichen Filmstars der damaligen Zeit abzulichten. Portraits von Lauren Bacall, Jane Russell, Doris Day oder - besonders schön - die Fotografie von Lillie Palmer an der Seite von Rex Harrison am Set von „Main Street to Broadway“ (1953) werden gezeigt. Ihre fantastischen Portraits von Robert Capa, Alfred Hitchcock, Marlon Brando und vielen anderen sind leider nur im ausliegenden Katalog (Ruth Orkin: „A Photo Spirit,“ Hatje Cantz) zu bewundern – aber diese Fotografien hätten auch nicht zum Thema der Ausstellung „Women“ gepasst.
New York, 1953. © Orkin/Engel Film and Photo Archive; VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Wenn man bedenkt, dass Ruth Orkin nie eine Ausbildung bekommen hat und ihr auch nie ein Mentor zur Seite stand, kann man über ihr Leben, ihre Karriere und ihren Erfolg nur staunen. Alles hat sie sich selbst erkämpft, und das zu einer Zeit, als von der feministischen Bewegung der 1960er Jahre noch nichts zu spüren war.
1951 nahm Ruth Orkin den „Reise- Faden“ noch einmal auf. Wieder war sie allein unterwegs, diesmal durch Europa. „Don´t be afraid to travel alone“ nannte sie die Serie, in deren Verlauf DIE Fotografie entstand, welche sie bis heute ins kollektive Bildgedächtnis eingeschrieben hat. Ihr berühmtestes Bild „American Girl in Italy“ (1951) wird dankenswerterweise auch in der Ausstellung gezeigt. Die Aufnahme wirkt wie ein Still aus einem Hollywood-Film und ist nach wie vor eine vieldeutige Fotografie.
Diese einstige Ikone der Frauenbewegung erhält nicht zuletzt im Kontext von „MeToo“ neue Relevanz.
Ausstellungsdauer: 8. Dezember 2023 – 18. Februar 2024
Öffnungszeiten: Mi – So, 13 – 19 Uhr | Eintritt: 5 €, erm. 3 € |
f3 – freiraum für fotografie | Waldemarstraße 17 | 10179 Berlin
fhochdrei.org
Titel zum Thema f3 – freiraum für fotografie:
Ruth Orkin – WOMEN. Eine Ausstellung im f3 – freiraum für fotografie
Ausstellungsbesprechung: Ruth Orkin ist eine Neu- und Wiederentdeckung. Obwohl die Pionierin der Street Photography zu den berühmtesten Fotografinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählt, scheint sie vor allem in Europa kaum bekannt. Das ändert sich jetzt.
f³ – freiraum für fotografie zeigt: BLINDE FOTOGRAF*INNEN (3.10.20 – 17.1.21)
Susanne Emmermann, Mary Hartwig, Silja Korn, Gerald Pirner
Blinde Fotograf*innen – das klingt nach einem Paradox. Ist der Akt des Fotografierens nicht unweigerlich mit dem Sehen verbunden? (Sponsored Content)
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