19:00 Uhr: Verpuppte Kunst. Marionetten in der europäischen Avantgarde. online + Einstein Forum | Am Neuen Markt 7 | 14467 Potsdam
Die König Galerie in der ehemaligen Kirche St. Agnes zeigt derzeit den in Dänemark und Berlin lebenden Künstler
Tue Greenfort. Im Erdgeschoss des imposanten Betonbaus findet sich die Verkaufs- und Merchandisingfläche. Die Ausstellung folgt im ersten Geschoss, das man über den unprätentiösen Treppenaufgang erreicht. Oben angelangt öffnet sich der immer wieder aufs Neue beeindruckende 16 m hohe Ausstellungsraum. Vor den beigefarbenen Wänden aus körnigem Spritzputz betten sich Greenforts Tondren mit reliefartiger Strand- und Sandstruktur ein. Festgehalten sind der Wellenverlauf im Sand, Muscheln, Gesteine und Müll wie Kassettenspulen. Die runden Scheiben porträtieren die Prozesshaftigkeit von Natur. Sie muten an, als seien sie ganz reale Strandausschnitte, doch sind sie bloße Nachbildung eines fiktiven Strandstücks. „Natur“, hier vor allem als unser Wissen darum inszeniert und ostentativ repräsentiert.
Mit „Monokultur“ (2022), einer modernen Interpretation einer Schausammlung direkt am Eingang wird dieser Ansatz weiterverfolgt. Aus dem Erdkasten mit der Fläche einer Ein-Zimmer-Wohnung sprießen in den kommenden Wochen Weizenhalme einer selten gewordenen Sorte, die nicht genug Ertrag eingebracht hat (schon heute ist grüner Flaum zu sehen). Dem Rand entlang verläuft eine Vitrine mit Glas- und Plastikmodellen, kuriosen Zeugnissen von Zeitungsartikeln und dergleichen. Diese Zusammenstellung vermittelt Willkür und Beliebigkeit unseres Umgangs mit Biologie. Unsere Vorstellung von „Natur“ wird als eine gesellschaftliche Konstruktion entlarvt.
An der Wand hängt eine besonders eindrückliche Reihe großformatiger
Cyanotypien
- ein fototechnisches Verfahren, das auch für Naturaufnahmen Ende des 19. Jahrhunderts benutzt wurde. Dabei werden durch die Belichtung einer lichtempfindlichen Flüssigkeit blau leuchtende Motive direkt auf Papier zum Vorschein gebracht. Je nach Beleuchtungsdauer wird der Farbton kräftiger, bis er von wässrigem Königsblau zu sattem Schwarzblau übergeht. Der historische Bezug und das Motiv einer ruhigen Nachtstimmung mit Mond und Strohwiese erlaubt einen melancholischen Blick. Erinnert sei an einen Naturbezug, den wir alle verlernt haben. Im Gewand eines schwärmerischen Romantizismus korrigiert diese Werkreihe keine ökologische Maxime oder naturwissenschaftliche Ideologie, sondern wirkt kontemplativ, ruhig und gemahnt an das Schöne, Erhabene einer naturbelassenen Landschaft.
Einmal von dieser Stimmung erfasst, scheinen die drei durchlöcherten Metallkörper „Prototaxites“ (2017) nicht als eine Rakete oder rostige Gartenfigur. Viel eher muten die hochwachsenden Figuren wie Mahnmale oder Totempfähle an. Im Laufe der Ausstellung wachsen aus den Löchern Austernpilze. Irgendwann sieht das aus wie eine dieser Kerzen, deren Docht aus einem Berg verflossenen Wachses hervorschaut. Sollte dies gelingen, wird das in diesen Räumen zweifelsfrei fantastisch wirken. Das Werk wie das anfangs beschriebene Weizenfeld zeigen ununterbrochenen Wandel und Anpassung der Natur. Sie hinterfragen auch, für wen die Veränderungen unseres Ökosystems eigentlich eine Gefahr darstellen?
Ein zweites riesenhaftes Exponat der Ausstellung ist „Dræbergoble“ (2017): Eine leuchtende opak-transparente Nachbildung einer Qualle. Auch hier handelt es sich um eine seltene und invasive Spezies. Abgehängt von der Decke scheint das Gebilde zu schweben und auf alles hinabzuschauen. Der Effekt ist archaisch, geradezu kultisch. Auf dem Boden verteilen sich wie kleine Kleckse lila-blau schimmernde Quallen aus Glas in Originalgröße. Thema ist eine Vorstellung von Natur, von einem festgezurrten Panorama mit vier Jahreszeiten. Doch werden wir durch die Klimakrise zukünftig nur mehr zwei Saisons haben. Unter anderem aus wirtschaftlichen Motiven ist unsere Idee einer heilen Landschaft seltener geworden. Insgesamt schwebt über der Ausstellung eine Schwere. Unser vertrautes Ökosystem, nun weitgehend zerstört... lässt der Verkaufskontext diese Kunstwerke als unglaubwürdig erscheinen, wie ein Alibi der eigenen Wokeness. Bestenfalls als naiv werden sie im schlimmsten Fall als ignorant gelesen, geradezu als munterer Aufruf zum Konsum und Investment in Kunst. Doch wie lässt sich in unserem System richtig handeln? Vielleicht sollten wir daher auch einfach nur die schönen Werke Greenforts genießen und den Pflanzen jede Woche beim Wachsen zusehen?
TUE GREENFORT | EQUILIBRIUM
19.8. – 2.10. 2022
KÖNIG GALERIE
Alexandrinenstr. 118–121
10969 Berlin
TUE – SAT 10AM – 6PM
SUN 12 – 6PM
www.koeniggalerie.com
Titel zum Thema König Galerie:
Natur, ach Natur ...
Endet am Sonntag: Der in Dänemark und Berlin lebende Künstler Tue Greenfort in der König Galerie
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof
Studio Hanniball
VILLA HEIKE
Haus am Kleistpark
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.