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Berlin Daily 23.11.2024
Gespräch mit Nanne Meyer

19 Uhr: Künstlerin mit dem Schwerpunkt Zeichnung. Im Rahmen der Finissage zur Ausstellung "(Dis)ordering Things". oqbo | raum für bild wort ton | Brunnenstr. 63 | 13355 Berlin

Ich wollte keine Überschrift, weil Sprache die Inhalte formt.

von Maximilian Wahlich (05.04.2022)
vorher Abb. Ich wollte keine Überschrift, weil Sprache die Inhalte formt.

Performance von Delaine Le Bas und Hugo S. Santos in BEWARE OF LINGUISTIC ENGINEERING, © Maxim Gorki Theater / Foto: Egbert Trogemann

Sprache macht Wirklichkeit. Sie definiert Grenzen und beschreibt Ordnungen. Sie vergibt Namen und damit Identitäten oder missbilligt Menschen mit Leerstellen, manifestiert Vorurteile und agiert mit Gewalt, Zärtlichkeit. Manchmal tänzelt sie in liebkosenden Umschreibungen und dann sticht sie mit einem scharfen Wort zu. Sprache ist ein Spiel, unklar ist bloß, wer die Regeln festlegt.
Beware of linguistic engineering (auf dt. Vorsicht vor sprachlicher Erzeugung) ist ein Ausstellungsformat, welches sich mit der Macht der Sprache befasst. Die ersten drei Tage der Ausstellung wurden eingeleitet mit Performances der beiden Künstler*innen Delaine Le Bas und Hugo S. Santos. Ort des Geschehens ist der sogenannte Kiosk des Gorki Theaters sowie der angrenzende Hinterhof.
Die Spuren ihres tänzerischen wie sprachlichen Ausdrucks bleiben: Delaine Le Bas offenbart sich in einem inbrünstigen Monolog, wiederholt ekstatisch Kraftausdrücke und läuft in Rage mit großen Schritten umher. Hugo S. Santos mimt mit der verzogenen Clownsmaske die Rolle des Bösen. Der Clown bewegt sich langsam, schlängelt gleichsam am Boden, verharrt ab und zu. Seine Bewegungen scheinen ein Eigenleben zu führen und kehren Delaine Le Bas´ energetischen Bewegungen um ins Ruhige, in eine Art der Resilienz. Offensichtlich steht dieser Clown nicht auf der „Gewinnerseite“, er trägt zerschlissene Klamotten in Spitze. Wir entdecken nackte Körperstellen.

Eilig hastet Le Bas zur unsortierten Sammelstelle aller Utensilien. Hier verwahrt sie all ihr Hab und Gut. Sie greift großzügig zu Schminke, überzieht ihr Gesicht mit einer Mine und wandelt sich zunehmend selbst zum Clown. Delaine Le Bas ist wie Joaquin Phoenix in dem Film Joker: Als Produkt unseres Systems der leibhaftige Albtraum unserer Ordnung.


BEWARE OF LINGUISTIC ENGINEERING, Delaine Le Bas, © Maxim Gorki Theater / Foto: Egbert Trogemann

In großen Lettern schreibt die britische Künstlerin an die Wände „Today is the first day of the end of your life“, malt mit einer Schablone kleine Pferdchen, Hashtags. Le Bas Energie mobilisiert sich aus einem Aktionismus, damit steckt sie an und lädt zum selbstkritischen Diskurs ein. Tatsächlich gelingt ihr, das Publikum zum Chor zu machen. Und schon befinden wir uns mitten in einem Märchen. Ein Chor singt im Hintergrund, während Le Bas mit roten Haaren das vermeintliche gypsy-girl (Z*-Mädchen) gibt. Sie ruft zum ultimativen gypsy-war (Z*-Krieg) auf - mit breitem Lächeln, diabolisch oder humorvoll. Sie befragt das Publikum, ob das gypsy-girl wohl die Wahrheit sagen könne? Mit entsprechendem Zynismus wird verneint, ihr aber die Fähigkeit zugesprochen, die Zukunft erkennen zu können. Ein Märchen, wo das gypsy, der Clown, die wütende Künstler*in, der politisch-soziale brain-fuck unserer Tage zusammenkommen. In dieser Traumwelt wird erzählt, dass Europa ein sicherer Ort sei. Und die Moral dieser Geschichte ist, dass wir für unsere katastrophale Situation verantwortlich sind. Packt euch an die eigene rote Clownsnase, zieht den Plastikbollen ab und hört auf zu grinsen. In diesem Märchen wird der Prinz nicht von der Prinzessin freigeküsst.


Delaine Le Bas, © Maxim Gorki Theater / Foto: Egbert Trogemann

Während der Performance lässt Le Bas die vielen Ebenen ihrer Erzählung verschmelzen. Gleichzeitig durchkreuzt sie vehement jene Rolle, die sie zuvor noch konstruiert hat. Sie unterläuft das selbstgeschaffene Image ihrer Person. Einerseits nimmt sie sich einer Rolle an, konstruiert sie sprachlich: „I`m gypsy“. Im nächsten Moment verwirft sie das Gesagte. Dazu unterlegt sie ihre Sätze geschickt mit ihrer persönlichen Note. Kommentiert wird unter anderem mit einem quietschgelben Smiley, um ihn der Spruch: „Don`t be worry, fuck the Brexit“. Das Grinsegesicht ist starr und entlarvt einmal mehr die komatöse Ohnmacht vor den globalen Konflikten.

Ebenso interessiert die Ausstellung, weil sie ungewohnt archaisch scheint. Delaine Le Bas Aktionismus manifestiert sich als eine Art Höhlenmalerei mit rudimentären Aussagen. Auf dem Grundstück des Gorki befindet sich ein Jurtezelt mit einer Videoarbeit und weiteren textilen und malerischen Werken. Dort herrscht vollkommene Ruhe, das Licht ist stumpf. Dieses Areal ist ein sicherer Ort, eine Höhle.
In dieses Bild passt, dass Delaine Le Bas vor allem mit roter Farbe hantiert. Sie ist blutig und gleicht auch dem vorgetragenen Text, wiederum eine Montage verschiedener Medienberichte. Er erinnert an ein massives Gedicht, mit Pathos oder Heroismus, Blut und Schmerz.
Delaine Le Bas Wildheit wird im Nachhinein nur mehr anhand der Überbleibsel zu erahnen sein. Was bleibt, ist ein Bodenteppich aus Pressemitteilungen und Schlagzeilen. Einige Schriftsätze an der Wand, ein paar Pferdchen und krakelige Zeichnungen mit Smileys, Clowns und dem Z*-Wort. Und spätestens mit diesem Wort endet das Märchen rabiat. Wir kommen im Hier und Jetzt an. Le Bas erläuterte zu Anfang der Eröffnungsrede, dass dieses Wort im Englischen eine andere Geschichte hat und anders besetzt ist. Daher wurde es für diese Ausstellung gewissenhaft durchgestrichen.

31/März – verlängert bis 30/September/2022 

Dorotheenstr. 3
10117 Berlin

Öffnungszeiten:
Mo - So: 12:00 - 20:00 Uhr
Gorki Kiosk & Jurte
Geschlossen während der Theaterferien: 3.7.-19.8.2022
EINTRITT FREI

Soundinstallation: täglich 18:00 - 20:00 Uhr

www.gorki.de

Maximilian Wahlich

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Titel zum Thema Gorki:

Ich wollte keine Überschrift, weil Sprache die Inhalte formt.
Besprechung zu den Perfomances von Delaine Le Bas im Rahmen ihrer Ausstellung „Beware of linguistic engineering“ im Gorki Theater.

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