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Im Stuhl sitzend: Das Morgen. Konstantin Grcic im Haus am Waldsee

von Maximilian Wahlich (05.05.2022)
vorher Abb. Im Stuhl sitzend: Das Morgen. Konstantin Grcic im Haus am Waldsee

Konstantin Grcic, New Normals, 2021, Foto: Florian Böhm

Ein Stückchen Zukunft lockt in den Süden Berlins, in das Haus am Waldsee. Dort ist die Ausstellung New Normals zu sehen. Sie zeigt 15 raumgreifende Installationen des Industriedesigners und Künstlers Konstantin Grcic (* 1965 in München).
Wie der Ausstellungstitel ahnen lässt, wird hier nicht mit einer futuristischen Dystopie à la 1984 von George Orwell aufgewartet, und Raumschiffe gibt’s hier auch keine. Grcics Zukunft liegt nicht im Jahr 6000, nein, sie ist exakt 6 Jahre zeitversetzt: 2028, 22. Januar, 12:27 Uhr, Raumtemperatur 18 °C.

Abgesehen davon, dass eine künstlich runtergekühlte Innentemperatur die eher wahrscheinliche Erderwärmung ausblendet, – wobei Grcic ehrlicherweise zugibt, den Klimawandel bei seiner Vision außen vor zu lassen (siehe Interview im Katalog) – scheinen wir wie in einen Spiegel zu sehen, – nur 6 Jahre später. Und was ist anders geworden? Tatsächlich bleibt beruhigend viel, die meisten Versatzstücke kennen wir. Die ikonischen und vor allem hochpreisigen Designklassiker von Vitra gibt es weiterhin, doch – und das löst Irritation aus, – ihnen scheinen Fühler gewachsen. Antennen machen aus den Hockern kleine Insekten. An anderer Stelle verwandeln Kabelbinder eine Sitzfläche in einen konkaven Igel. Diese Zukunft kennt noch unsere Zeit und wir werden in 6 Jahren unser Heute erinnern.


Konstantin Grcic, New Normals, 2021, Foto: Florian Böhm

Grcic vermag die Zukunft gerade in ihrer Langeweile zu fassen. Wir werden keine Aliens als Freund*innen haben und ziemlich sicher residiert Elon Musk (noch) nicht auf dem Mond.
Wie es bei Grcic aussieht, werden wir unseren Alltag bloß mit technophilem Zeug versehen. Diese Apparate sehen aus wie unnützer Tinnef. Doch mag das in 6 Jahren anders sein. So verweist der Einleitungstext darauf, dass ein Smartphone noch vor 20 Jahren nicht einzuordnen war. Daran ließe sich auch festmachen, dass sich Normvorstellungen und Rituale verändert hätten.

Gewiss ließe sich an der Stelle einhaken und fragen, inwiefern das Smartphone „Rituale“ beeinflusse? Worin die Pointe der Aussage „Normen ändern sich mit den Jahren“ läge? In dieser Ausstellung werden solcherlei kritische Fragen nicht weiter behandelt. Viel eher geht es um formale Veränderungen. Beispielsweise der Mixtur von Materialien, wenn ein Betonstein über Kabelschlangen mit einem teuren Designstuhl verbunden ist oder einfach um eine ungewohnte Farbkombination. Als Designausstellung konzipiert, suchte Grcic während der Planungen einen Umgang mit den Wohnräumen des ehemaligen Privathauses, welches 1922 von Max Werner für Hermann Knobloch entworfen wurde. Grcic Objekte sind keine Möbel für das schmucke Heim reicher Zehlendorfer*innen.

Grcics philosophischer Coup ist, dass wir unsere Zukunft nicht kennen, aber sehr wohl gestalten können. Seine Visionen bekommen damit einen konkreten Einschlag und so werden aus den dreidimensionalen Kunstobjekten plötzlich handfeste Muster für die kommenden Jahre.
Wie erwähnt, imaginiert die Ausstellung eine Zukunft ohne Klimawandel, was nahezu weltfremd anmutet.Das Credo l’art pour l’art trifft zu und so erschöpfen sich die Objekte als Designoptionen in 6 Jahren.


Konstantin Grcic, New Normals (Detail), 2021, Foto: Florian Böhm

Doch ebenso lassen sich die Objekte als Kunstwerke lesen. Dann scheinen sie wie humorvolle Anspielungen auf unsere Gegenwart und der innewohnenden Potenz ihrer Steigerung. Beispielsweise steht im Obergeschoss ein golden bezogener Liegestuhl, versehen mit fünf Smartphone-Halterungen (Kunstwerk No. 12). Läge dort ein Mensch, glichen die Halterungen den Armen eines Tausendfüßlers. Womöglich thront der Mensch in diesem Szenario auf dem goldenen Möbel, während er dank der zahllosen Steuerungstools seiner fünf Endgeräte gar nicht mehr aufstehen müsste. Hierbei werden Fragestellungen, unter anderem zum Anthropozän, dem Tier-Werden durch technische Maschinen, angeregt. Doch bleibt anzumerken, dass Grcics Zukunftssicht auffallend privilegiert ist.


Ausstellungsdauer: 21.1. – 8.5.2022

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr.

Haus am Waldsee
Internationale Kunst in Berlin
Argentinische Allee 30
14163 Berlin
Tel. 030 / 801 89 35
hausamwaldsee.de

Maximilian Wahlich

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