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Medienteppiche. Digitale Webereien von Margret Eicher im Haus am Lützowplatz

von Urszula Usakowska-Wolff (21.02.2021)
vorher Abb. Medienteppiche. Digitale Webereien von Margret Eicher im Haus am Lützowplatz

Margret Eicher, Lob der Malkunst 2, 2018
Digitale Montage/, Jacquard, 290 x 430 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2021 / Margret Eicher


Eine Ausstellung, die hinter verschlossen Türen hängt und weder eröffnet noch besichtigt werden darf, ist in der Corona-Zeit keine Ausnahme. Wenn sie zu allem Überfluss nicht mal durch die Schaufenster zu erspähen ist, denn die bespielten Räume befinden sich im ersten Stock, könnte das ein Desaster bedeuten. Kein Publikum, keine Öffentlichkeit, keine Notiz in den Medien. Das hätte auch das Schicksal der ersten Berliner Personale von Margret Eicher im Haus am Lützowplatz sein können. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz entwickelt sich ihr Lob der Malkunst zu einem medialen Ereignis, das fast schon einen Kultstatus genießt. Die Energie und Fantasie, mit denen der künstlerische Leiter des HaL, Marc Wellmann, und sein kleines Team erfolgreich die schwierige Situation meistern, sind nicht hoch genug zu loben. Sie haben rechtzeitig erkannt, welches Potential in den Zoom-Meetings steckt und nutzen sie, um jetzt Margret Eichers Werk und sie persönlich dem Webpublikum näherzubringen und sichtbar zu machen.

Neubeginn als digitale Weberin

Die Wahlberlinerin Margret Eicher (*1955 in Viersen) befasst sich seit 20 Jahren mit digitaler Weberei. Von 1973 bis 1979 studierte sie Druckgrafik und Malerei an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. In den 1980er Jahren entwickelte sie die Technik der CopyCollage und vervielfältigte Bildmotive aus Printmedien. Doch sie hatte den Eindruck, das ihr entsprechende Medium noch nicht gefunden zu haben. Das änderte sich, als sie während eines Urlaubs in Frankreich die Schlösser an der Loire besichtigte. Zuerst betrachtete sie die überall hängenden Tapisserien nur als Einrichtungsgegenstände. Dann merkte sie, dass es nicht nur Statussymbole, sondern auch Kommunikationsmedien sind, mithilfe deren die höfische Gesellschaft Macht und Stärke demonstrierte. Die Botschaften der heutigen Bilder, ihre politische Dimension und ihren Einfluss auf die Denkweise und das Habitus der Konsumenten zu zeigen, wurde von nun an Eichers Thema.

Emanzipierende Webkunst

Als Begründerin der zeitgenössischen Tapisserie in Deutschland, die vor 20 Jahren als ein antiquiertes Genre galt, höchstens zum Staub fangen geeignet, wurde Margret Eicher belächelt. Ihre Motive und Figuren, die sowohl aus der klassischen Malerei, Bildweberei, Popkultur und Werbung stammen, störten, wie die Künstlerin sagt, „manches Gemüt.“ Eicher sah in ihren einzigartigen Werken, die sie Medienteppiche nannte, eine Chance, sich von der gängigen Kunst zu emanzipieren. Aus dem reichen Fundus des Internets holte sie sich die passenden Bilder, bearbeitete sie mit Photoshop – ihrem Malkasten und Pinsel – speicherte das Endergebnis auf einem Datenträger und schickte den Entwurf an Flanders Tapestries, eine digitale Weberei in Wielsbeke in der Nähe von Brügge in Belgien, wo in fünf bis acht Stunden digital ein großformatiger analoger Medienteppich aus Jacquard-Gewebe produziert wird. 60 solcher Eicher-Teppiche wurden dort bisher gefertigt und das Ende ist zum Glück nicht abzusehen.


Margret Eicher, Assunta, 2020
Digitale Collage, Jacquard, 308 x 207 cm
© VG Bild-Kunst, Bonn 2021 / Margret Eicher


Madonna, Dornenkrönung und Venus

Zehn davon sind in der ersten institutionellen Einzelausstellung der innovativen, konsequenten und eloquenten Künstlerin versammelt. Unter dem Titel Lob der Malkunst ist es, Zoom sei Dank, möglich, in ihre ironische Welt einzutauchen, sich von ihr oder den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des HaL führen zu lassen, den Digitalen Dialogen zwischen Margret Eicher und Museumsdirektoren, Kuratoren und Autoren zu lauschen und sogar Fragen zu stellen. Das ist sehr anregend und so aufregend, dass es fast nicht auffällt, an einer virtuellen Veranstaltung teilzunehmen. Die Künstlerin ist eine Meisterin der Persiflage und des subversiven Humors, eine Chronistin der Gesellschaft in Zeiten der medialen Infantilität. Die Figuren ihrer Tapisserien sehen aus, als hätte sie eine Autodidaktin gestaltet. Sie wirken intendiert naiv, viele erstarren in Posen, muten wie plumpe Statuen an. Sie entspringen der heutigen Popkultur, die aus der Hochkultur und religiösen Mythen der Vergangenheit schöpft und alles in einen Topf wirft: Der einstige Star Madonna in Reizwäsche verkörpert als Assunta (2020) Mariä Himmelfahrt; zwei sich vor dem Hintergrund einer Messe im Petersdom küssende Männer, aus einer Berliner Toleranzkampagne entnommen, stehen oder genauer: schweben für die Göttliche Liebe (2011), daneben krümmt sich der Heiland aus Caravaggios Dornenkrönung Christi (ca. 1602), begleitet vom Schriftzug Liebe verdient Respekt.

Im Mittelpunkt des Bildteppichs Die Geburt der Venus 2 (nach Botticelli), 2018, platzierte Margret Eicher die schwangere Starsängerin Beyoncé. Auch sie verharrt in einer Madonnenpose, und zwar vor zwei Rolltreppen eines nüchternen U-Bahnhofs aus den 1980ern. Ihr Kopfschmuck mutet wie eine Aureole an, beleuchtet von riesigen pilzähnlichen Lampen. Die kleinen Wogen, von denen Venus ans Land gespült wurde, symbolisieren Wellen und Kirschblüten, ein häufiges Motiv japanischer Tattoos. Prilblumen fallen hinab. Botticellis und Hokusais bekannteste Werke, deren Motive schon seit langem T-Shirts, Socken, Tücher und Magneten aufhübschen, sind genauso populär, wie die chemischen Produkte eines global agierenden Konzerns.



Installationsansicht Haus am Lützowplatz (HaL), Foto: Gunter Lepkowski

Malkunst und Filmkunst

Das zentrale Werk der Ausstellung ist der Medienteppich Lob der Malkunst (2012). Er bezieht sich zum einen auf das Gemälde Malkunst (um 1664/1668 oder 1673) von Jan Vermeer, das als eine Allegorie der Kunst gesehen wird. Doch daraus übernahm Margret Eicher nur zwei Elemente: die Trompete, die das Mädchen im türkisfarbenen Kleid in der rechten Hand hält, und den Lorbeerkranz, der ihr Haupt krönt. Das Blechblasinstrument war zur Zeit des Barocks Symbol der Herrscher und durfte nur von ihnen benutzt werden; der Lorbeerkranz steht für Sieg und Ruhm. Diese beiden Insignien befinden sich aber in den Händen einer anderen Vermeerschen Frauenfigur: Es ist Das Mädchen mit dem Perlenohrring (um 1665), in dessen Rolle die Schauspielerin des gleichnamigen Films (2003), Skarlett Johannson, schlüpfte. Sie hat sich inmitten der einst berühmten Berliner Paris Bar postiert, einer Kultstätte der Kunstszene. Zu ihrer rechten erhebt sich Martin Kippenberger, dessen Kopf in einem fremden Körper und einem für diesen Künstler ungewohnt eleganten Sakko steckt; zu ihrer linken sitzt Gerhard Richter, der auf jemanden zu warten scheint. Das Lokal ist leer, die Tische sind gedeckt, die Wand schmückt Kippenbergers bekanntes Wandbild, das in Wirklichkeit von einem Plakatkünstler (zweimal) gemalt wurde.
Mit dem Lob der Malkunst möchte Margret Eicher zum anderen eine Diskussion in Gang bringen über Konzeptkunst und mehr oder weniger traditionelle Malerei, über Original und Kopie, über die Vitalität der Kunstfiguren und Motive, die im Medium Film sich in „echte“ Menschen verwandeln. Der Themen sind viele und jede(r) darf sie nach Lust und Laune interpretieren.


Installationsansicht Haus am Lützowplatz (HaL), Foto: Gunter Lepkowski

Kitsch überflutet die Welt

Aus Fundstücken der Mediengesellschaft baut Margret Eicher eine faszinierende Welt. Sie ist eine Malerin, welche die digitale Collage dazu nutzt, die Widersprüche und Brüche unserer Zeit, ihre Ignoranz, Pos(s)enhaftigkeit und Vergesslichkeit auf den perfekten Oberflächen ihrer klassisch gestalteten Tapisserien zu veranschaulichen. Ihre Kompositionen sind meistens symmetrisch und klassisch, in der Mitte befindet sich die zentrale Figur oder eine Figurengruppe, die von anderen Figuren flankiert wird. Oft sind auch Landschaften oder Fragmente aus SF, Comics, Filmserien und dergleichen erkennbar. Bordüren bestehen häufig aus Game Buttons, nur das sie nicht farbig, sondern grau oder schwarz sind. Aufwändige Ornamente schmücken die Medienteppiche, ein schöner Schein muss ja schließlich hier und da sein. Weil in der schnelllebigen Zeit eine Botschaft die andere jagt, werden wahre Helden wie Julian Assange (Agent Assange, 2020) schnell vergessen. Margret Eicher ist nicht nur eine Meisterin der digitalen (neuerlich schwarzweißen) Collage, sie geht auch mit Kitsch, der die heutige reale und virtuelle Welt überflutet, spielerisch um. Doch es gelingt ihr, mitnichten in den Kitsch abzudriften, sondern ihn zu simulieren, was alleine schon eine große Kunst ist. Und sie kann ihre Bilder wunderbar erklären, auch wenn sie gar nicht so schwer zu entziffern sind. Durch diese Fähigkeiten ist die Pionierin der digitalen Bildwirkerei zur erfolgreichen Netzwerkerin geworden, wobei sie vom Team des Hauses am Lützowplatz, der Avantgarde einer zeitgemäßen Kunstvermittlung, unterstützt wird. Hut ab!

Alle Informationen über die Ausstellung Lob der Malkunst von Margret Eicher, die noch bis zum 14. März dauert, sowie über die Zoom-Führungen und Begleitveranstaltungen, befinden sich auf der Webseite: www.hal-berlin.de

Urszula Usakowska-Wolff

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