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Home – Topia. Eine Ausstellung im physischen und virtuellen Raum

von Urszula Usakowska-Wolff (13.02.2021)
vorher Abb. Home – Topia. Eine Ausstellung im physischen und virtuellen Raum

Home - Topia, Ausstellungsansicht, Raum für drastische Maßnahmen. Foto: Regina Kelaita

Die Oderstraße in Friedrichshain ist eine ruhige Gegend, fern vom Großstadtlärm, obwohl sie in der Nähe der belebten Kreuzung Frankfurter Allee / Gürtelstraße liegt. Am vergangen Dienstag machte ich mich auf den Weg, um die Ausstellung Home – Topia, an deren Eröffnung ich am 5. Februar als eine von über 60 Zuschauerinnen und Zuschauern auf einer interaktiven Webseite teilgenommen hatte, möglichst unmittelbar vor dem Projektraum in der Oderstraße 34 zu erleben. Das ist heute unsere neue Normalität: Sie führt aus der Virtualität in die Realität, aber nur, wenn die Galerien über großen Fenster verfügen, um auf die im Innern platzierten Werke durch die Scheiben zu blicken. Der Raum für drastische Maßnahmen, Home – Topias Ausstellungsort, hat nicht nur einen Namen, der neugierig macht, sondern auch zwei Fenster für einen fesselnden Draußen-Kunstgenuss. Bei Anbruch der Dunkelheit werden sie beleuchtet – und die Aufmerksamkeit der Passanten richtet sich darauf, was hinter oder auf dem Glas zu sehen ist. Die Arbeiten der Künstlerinnen, die sie in Home – Topia zur Schau stellen, sind es wert, mindestens zweimal betrachtet zu werden: im Netz sowie vor Ort.


Barbora Demovičová

Anders als geplant und doch gelungen

Die treibende Kraft der Gruppenausstellung Home – Topia ist ihre Kuratorin, die aus der Slowakei stammende Grafikdesignerin und Illustratorin Barbora Demovičová. 2019 startete sie dieses Ausstellungs- und Forschungsprojekt mit dem Ziel, auf aktuelle Formen der Migration, verschiedene kulturelle Identitäten und das damit verbundene Zugehörigkeitsgefühl hinzuweisen und über den zeitgemäßen Heimatbegriff zu diskutieren. Wichtig war es ihr, temporäre Gemeinschaften zu schaffen, die diese Themen künstlerisch umsetzen. Sie nahm Kontakt mit Zorka Lednárová, Katarína Hrušková und Petra Debnárová auf, die in der Slowakei geboren wurden, sowie mit dem polnisch-slowakischen Künstlerinnenduo Julia Gryboś + Barbora Zentková. Alle Künstlerinnen leben und arbeiten in Berlin, stellen aber oft in ihren Heimatländern aus. Anfang 2020 gründeten sie eine Künstlerinnengruppe und sprachen bei ihren Treffen über kulturelle Ähnlichkeiten und Unterschiede, die Wahrnehmung nationaler Stereotype sowie über die Art ihrer Verbindungen zu den Orten ihrer Herkunft. Durch die sich wiederholenden pandemischen Restriktionen, vor allem das Kontaktverbot, die Einschränkungen bei Auslandsreisen und die Schließung der Galerien, musste die Home – Topia anders konzipiert und gestaltet werden. Das war für die Künstlerinnen und die Kuratorin eine große Herausforderung, die sie aber vorbildlich meisterten. Weil die geplanten Werke unter anderem der schwer passierbaren Staatsgrenzen wegen nicht verwirklicht werden konnten, mussten sie sich auf solche konzentrieren, die in ihrem Berliner Alltag verortet sind und sowohl im virtuellen als auch im physischen Raum ihre Wirkung entfalten. Für den virtuellen Raum hat Barbora Demovičová eine traumhafte, interaktive Ausstellungswebseite in Rosa, Blau, Lila und Weiß kreiert und einen fundierten Einführungsessay geschrieben.


Zorka Lednárová

Zuhause im Körperinneren

Der Titel Home – Topia klingt vertraut, denn er bezieht sich auf den Begriff der Utopie und drückt Utopie der Heimat aus. Es könnte sich auch um eine Anspielung auf Topos handeln, also um Heimat als Gemeinplatz, als ein Ort verklärter Glückseligkeit. Doch die Ausstellung hat damit nichts zu tun. Es ist spannend zu sehen, zu lesen und zu hören, wie die Künstlerinnen mit diesen nicht einfachen Problemen umgehen. Ihre Heimat ist ihr Zuhause, das sowohl in der Wohnung als auch im Körperinnern liegt. Das letztere trifft auf Zorka Lednárová zu: Ihre große hängende Leinwand unter dem Titel in meinem Inneren ist durch das linke Fenster im Raum für drastische Maßnahmen zu sehen. Sie ist mit Schwarzweißfotografien wohl aus Familienalben bedruckt und mit semitransparenter Lasur überzogen; in der Mitte taucht die Silhouette der Künstlerin auf. Auf der Webseite kann man die Einzelheiten dieses ergreifenden Vorhangs der Erinnerung erkunden und das Motto der Künstlerin lesen: „Das Gefühl des Zuhauses trage ich hauptsächlich in mir drinnen.“ Zorka Lednárovás Heimat ist im Gedächtnis gespeichert, manchmal kehrt sie ihre Innenwelten nach außen, damit wir uns darin auch heimisch fühlen und unsere Erfahrungen finden können.


Julia Gryboś + Barbora Zentková

Fingerspitzentanz und Fontänenstöhnen

Das rechte Fenster des Raums für drastische Maßnahmen hat sich in einen großen Bildschirm verwandelt und wirkt wie ein Freiluftkino. Dort läuft in Endlosschleife ein Streifen, bestehend aus wie Filmstils anmutenden Werken der anderen Home – Topia-Künstlerinnen. Obwohl sie auf ihre raumgreifenden Installationen verzichten mussten, fallen auch die Aufnahmen, die sie davon gemacht haben, überzeugend aus. Und so dokumentiert der Fingertips Dance, eine Serie digitaler Fotografien des Duos Julia Gryboś + Barbora Zentková, mit viel Ironie ihren Lockdown-Alltag in der Umgebung ihrer Wohnung. Zu sehen sind Hände, Böden, Papiere, Hausgeräte, Obst und Wände. Um nicht aus der Übung zu fallen, besticken die Künstlerinnen Siebe und Obstkörbe mit bunten Fäden. Bananen und Mandarinenschalen heften sie mit Klammern zusammen. Auf der Ausstellungswebseite ertönt dazu der Song Bodega Birth von Bodega, wo es unter anderem heißt: "Enter Bodega / This is documentary / All day long stare at screen / This is documentary…"


Katarína Hrušková

Ironie und Poesie, Schönheit gewöhnlicher Dinge, ihr oft übersehener Zauber und magischer Kreislauf stehen im Mittelpunkt der vierminütigen Fotoanimation Fountain Moan von Katarína Hrušková: ein Wasser- und Wortspiel aus Händen, die Kartoffeln waschen und dabei in einem wunderbaren Gedicht über den Fluss der Zeit, Verschwinden und Wiederkehr, Formbarkeit und Unbändigkeit der Sprache sowie über eine „wässrige Routine“ sinnieren, die ein wahres Fest für die Sinne ist. Fontänenstöhnen wie ich mir den Titel übersetzt habe, ist ein fulminantes multimediales Kunstwerk. In der Webpräsentation wird es vom Blubbern, Gurgeln, Murmeln, Rieseln und Rauschen des Wassers begleitet, eine ebenfalls von Katarína Hrušková geschaffene Soundkulisse, die noch lange in meinem Gedächtnis nachklingt.


Petra Debnárová

Auch aus dem Gedächtnis baute Petra Debnárová eine drohnenartige weiße Skulptur, die den Titel Memory Foam trägt. Sie besteht aus Fragmenten der Häuser und Wohnungen, in denen die Künstlerin früher lebte und die sie zu einem aus unterschiedlichen Teilen bestehenden recht fragilen Ganzen zusammenfügte. Um den Schaum der Erinnerung internettauglich zu machen, nutzte sie die Augmented Reality. Ihr Werk dreht sich nicht nur in einem gediegenen häuslichen Ambiente im Web, auch sein QR-Code kann auf das Handy gescannt werden kann, um das fliegende Domizil in die eigenen vier Wände zu holen. Ich kann es wärmstens empfehlen, denn wann gibt es schon die Möglichkeit, als ein reales Lebewesen mit einer Schöpfung der erweiterten Wirklichkeit einige Zeit zusammen zu sein?

Home - Topia mit Petra Debnárová, Julia Gryboś + Barbora Zentková, Katarína Hrušková, Zorka Lednárová
kuratiert von Barbora Demovičová
bis zum 27. Februar 2017
Raum für drastische Maßnahmen
Oderstraße 34, 10247 Berlin-Friedrichshain

Aufgrund der Corona-Beschränkungen kann die Ausstellung bis zum 27. Februar virtuell auf www.home-topia.eu und von Dienstag bis Samstag von 16–21 Uhr durch die Fenster des Raums besichtigt werden.

rpunkt.org
home-topia.eu

Urszula Usakowska-Wolff

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Titel zum Thema Raum für drastische Maßnahmen:

Home – Topia. Eine Ausstellung im physischen und virtuellen Raum
Ausstellungsbesprechung: Der Titel Home – Topia klingt vertraut, denn er bezieht sich auf den Begriff der Utopie und drückt Utopie der Heimat aus. Es könnte sich auch um eine Anspielung auf Topos handeln, also um Heimat als Gemeinplatz, als ein Ort verklärter Glückseligkeit.

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