19:00 Uhr: Verpuppte Kunst. Marionetten in der europäischen Avantgarde. online + Einstein Forum | Am Neuen Markt 7 | 14467 Potsdam
Eine animierte Cartoonfigur verkörpert in Bunny Rogers Einzelschau “Self Portrait as Clone of Jeanne D´Arc” gesellschaftliche Traumata und steht dabei sinnbildhaft für eine von digitalen Medien geprägte Generation – vom 25.10.2020 bis zum 28.02.2021 im Hamburger Bahnhof.
Passend zur Jahreszeit fühlt man sich in den Kontext einer Halloweenparty versetzt, die einer US-amerikanischen Highschoolserie entsprungen sein könnte: der Raum sparsam beleuchtet, die Wände im dunklem Violett, mit abgewetzten Tapetendetails, davor großformatige Portraits in leicht kitschigen, ebenfalls lilafarbenen Rahmen. Die Assoziation ist nicht weit gefehlt, denn die Medienkünstlerin Bunny Rogers (*1990 in Houston, Texas) bedient sich in ihren Arbeiten der Symbolsprache und Ästhetik von Cartoons, Videospielen und frühen Websites – einer Medienwelt also, mit der all jene, die um die Jahrtausendwende aufwachsen durften, bestens vertraut sind. Und so lässt Rogers auch in Self Portrait as Clone of Jeanne D’Arc eine bekannte Animationsfigur für sich sprechen. In der Kultserie Clone High, die Anfang der 2000er nur für kurze Zeit in den Staaten und in Kanada zu sehen war, bevölkern Klone historischer Persönlichkeiten eine Mittelschule. Die Clique im Zentrum der Handlung setzt sich aus den jugendlichen Abbildern von Abraham Lincoln, Cleopatra, Mahatma Gandhi, John F. Kennedy und Joan of Arc zusammen. Letztere ist die amerikanisierte Variante der französischen Nationalheldin Jeanne D´Arc, die während des Hundertjährigen Krieges im 14. Jahrhundert dem späteren König Karl VII zum Sieg über die Engländer und Burgunder verhalf. Sie ist Ausgangspunkt und Alter Ego für Rogers.
Bunny Rogers, Self-portrait as Clone of Jeanne d´Arc (Vanessa Joan), 2019
Bild aus 15teiligem Zyklus, Kunstdruck auf Hahnemühle PhotoRag Ultrasmooth auf Aluminium, versilberter Künstler*innenrahmen, lila, 200,5 x 163 x 7,5 cm, Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, erworben 2020 durch private Förder*innen zu Ehren von Udo Kittelmann (Direktor der Nationalgalerie 2008-2020), © die Künstlerin und Société
Als Parodie kommentiert Clone High Teenie-Melodramen aus den 1990ern – allen voran Dawson’s Creek, Buffy und Beverly Hills 90210 – und macht dennoch oder vielleicht gerade deshalb Identität zum zentralen Thema: Humor entsteht vor allem an solchen Stellen, wo jugendliche Charakterzüge und der damit verbundene Kosmos auf die geschichtlichen Narrativen der verkörperten Persönlichkeiten treffen. Das unsichere Auftreten und fehlende Selbstbewusstsein von Abraham Lincolns Klon widerspricht beispielsweise dem allgemeingültigen Bild des US-amerikanischen Präsidenten, der im 19. Jahrhundert die Sklaverei abschaffte. Daran angelehnt nimmt Rogers für ihre Portraitreihe die Rolle des Serienklons an, um persönliche Erlebnisse und existenzielle Krisen zu verbildlichen, die in Kontrast zu Stereotypen aus Popkultur und Medienwelten stehen. Eine Arbeit zeigt Joan aka Rogers im typischen Neoprenanzug einer Delfintrainerin; eine Motte verdeckt ihren Mund. Nicht nur spielt sie ununterbrochen mit Bildwelten aus TV-Serien und Hollywoodfilmen, die als internationale Massenphänomene einem deutschen Publikum ebenfalls bekannt sind, sondern referenziert auch ganz konkret Filmmotive wie das Plakat des 1990er-Thrillers Das Schweigen der Lämmer. Sowohl in ästhetischer als auch inhaltlicher Hinsicht nähert sie sich so jener Generation, deren eigene gesellschaftliche und kulturelle Identität stark mit Serien wie Clone High und frühen digitalen Medien verknüpft ist.
Ausstellungsansicht “Bunny Rogers. Self Portrait as clone of Jeanne D´Arc“, Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart Berlin 2020 / Nationalgalerie - Staatliche Museen zu Berlin / Courtesy the artist ande Société / Matthias Völzke
Bildzitate und vielschichtige Symbolsprache dienen in Self Portrait as Clone of Jeanne D’Arc jedoch nicht nur als Elemente eines Humors, der allein von einer Generation der Mittdreißiger entschlüsselt werden kann. Die Figur der Jeanne D’Arc / Joan of Arc ist keinesfalls zufällig gewählt: Das geschichtliche Vorbild, auf dem die Serienprotagonistin basiert, kämpfte als Frau an der französischen Front – sie ist in der heutigen Wahrnehmung frühe Feministin, Freiheitskämpferin, Jungfrau und Heilige zugleich. Auch die Narrative der 15-jährigen Joan aus Clone High ist komplex: Es ist vor allem ihr Kleidungsstil, der sie als Goth und Teil der Gegenkultur identifiziert, denn gleichzeitig steht sie mit differenzierten, liberalen politischen Ansichten im Zentrum einer beliebten Gruppe. Gerade der vermeintliche Gegensatz von Vorbild und Klon versinnbildlicht bei Rogers die emotionale Identitätssuche einer jungen Frau, die den Spagat zwischen gesellschaftlichen Vorstellungen von Weiblichkeit, eigenen psychischen Einbrüchen und der verführerisch ablenkenden Ästhetik von popkulturellen Trends zu meistern versucht. Bunny Rogers’ Ausstellung ist somit vielmehr als ein kitschig inszeniertes Selbstbildnis. Als Zeitkapsel und massenmediales Archiv der 1990er und 2000er macht ihr “Self-Portrait” die emotionale Zerrissenheit sichtbar, der sich gerade Frauen gesellschaftlich ausgesetzt sehen. Darüber hinaus beweist sie, dass die Popkultur weitaus inhaltsstärker ist, als ihr Ruf es vermuten lässt: Sie ist Zeitzeugin, Deutungsebene, Sprache und emotionale Heimat einer medienobsessiven Generation.
Bunny Rogers. Self Portrait as clone of Jeanne D’Arc
25. Oktober 2020 – 28. Februar 2021
Öffnungszeiten:
Di, Mi, Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
www.smb.museum/tickets
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Invalidenstraße 50/51, 10557 Berlin-Mitte
www.smb.museum
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