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Fotografie als Magie. Tadeusz Rolke im Polnischen Institut Berlin

von Urszula Usakowska-Wolff (22.11.2019)
vorher Abb. Fotografie als Magie. Tadeusz Rolke im Polnischen Institut Berlin

Tadeusz Rolke, Pruszków. Foto © Tadeusz Rolke, Warschau 2019

Tadeusz Rolke ist einer der bekanntesten polnischen Fotografen. In der Ausstellung Hin und zurück zeigt das Polnische Institut sein neuestes Erinnerungsprojekt sowie frühere Schwarzweißfotografien, die nicht nur in Polen zu Ikonen wurden.

Grasbewachsene Schienen, verrostete Tore, schüttere Wälder und schilfige Ufer, graue Dorf- und Stadthäuser, in den Himmel ragende Türme einer Backsteinkirche, Löwenzahn, der aus einer Mauerritze sprießt: Ein Hauch von Melancholie durchdringt die fast menschenleeren und auf den ersten Blick ortlosen Landschaftsbilder, die unter dem Titel Tam i z powrotem / Hin und zurück in der Galerie des Polnischen Instituts ausgestellt werden. Mit lakonischen Unterschriften versehen, dokumentieren sie einzelne Stationen einer Reise des 1929 in Warschau geborenen Fotografen Tadeusz Rolke zu den Orten, wo er in der Vergangenheit viel Leid erfahren hat. Er war 15 Jahre alt, als der Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer begann, an dem er sich als Mitglied der konspirativen Pfadfinderorganisation Szare Szeregi (Graue Reihen) beteiligte. Nach dessen Niederschlagung wurde er Anfang September 1944 zuerst ins Durchgangslager 121 Pruszków und von dort zur Zwangsarbeit ins Dritte Reich deportiert.


Tadeusz Rolke, Berlin. Foto © Tadeusz Rolke, Warschau 2019

In seiner neuesten Serie Hin und zurück begibt sich Tadeusz Rolke, Großmeister der polnischen Fotoreportage, Straßen-, Mode- und Porträtfotografie, auf ein neues Terrain, denn Dokumentarfotografie gehörte bisher nur selten in sein Repertoire. „Die Grenzen zwischen dem Dokumentarischen und Künstlerischem sind ziemlich fließend“, sagt der Fotograf. „Manche Dokumente gelten als Kunst, andere, scheinbar bessere, werden in eine andere Schublade gesteckt. ... Deshalb ist die Ausstellung Hin und zurück für mich etwas Besonderes: Eine 75 Jahre verspätete Dokumentation. Das Wort Dokument passt hier nicht ganz, deshalb bitte ich mein Publikum, die Fotos und Texte als eine Einheit zu sehen und zu lesen. Ein Haus, einen Wald oder eine Baracke zu betrachten, das sagt nicht viel aus, aber anhand der Texte kann man einen Eindruck bekommen, was mit einem 15-jährigen Jungen nach dem Warschauer Aufstand geschah. Ich bin einer der 650 000 Einwohner, die 1944 aus Warschau vertrieben und nach Deutschland verschleppt wurden.“


Tadeusz Rolke, Kargowa, Foto © Tadeusz Rolke, Warschau 2019

Fotografierte Biografie

Es war eine unfreiwillige Odyssee, auf die der schmächtige und mit körperlicher Arbeit nicht vertraute Junge geschickt wurde. Sie begann in Pruszków und führte über Luckenwalde, Dobbrikow in Brandenburg nach Berlin, und von dort kreuz und quer durch Nazideutschland nach Danzig. Die sechsmonatige und sich über 2200 Kilometer erstreckende Reise wiederholte der 90-jährige Künstler im Frühling dieses Jahres. Diesmal fuhr er mit einem Auto und bewältigte die lange Strecke in zehn Tagen. Die Idee, seine eigene kleine Geschichte als Teil der verhängnisvollen großen Geschichte zu erzählen, hat Tadeusz Rolke verwirklicht, um seinen Erinnerungen einen adäquaten Ausdruck zu verleihen und sie für andere nachvollziehbar zu machen. Das war kein einfaches Unternehmen, denn die Zeit hat viele Spuren verwischt oder ausgelöscht: Die Orte, wo er sich vor 75 Jahren gezwungenermaßen aufhielt, sehen heute anders aus. So ist halt der Lauf der Dinge, was wirklich zählt, ist, ob die im Gedächtnis gespeicherten Bilder mit dem Erlebten übereinstimmen. „Hin und zurück ist ein Teil meiner fotografierten Biografie“, sagt Rolke. „Für mich war es wichtig, wie es mir gelingen wird, einige meiner Erinnerungen in die Sprache der Fotografie zu übersetzen.“


Tadeusz Rolke, Polnisches Institut Berlin, 2019. Foto © e.fT

Die Erfüllung der Prophezeiung

Das ist ihm gelungen, denn der Künstler veranschaulicht in diesem beeindruckenden Fotoessay, dass die dramatische Zeit, in der er zum ersten Mal „unter die Deutschen geriet“, einen nachhaltigen Einfluss auf seine Einstellung zu den Menschen, zur Politik und auf seine Berufswahl hatte. Die Texte unter seinen Fotografien zeichnen ein differenziertes Bild der Deutschen, mit denen er in den letzten Kriegsmonaten in Berührung kam. Es gab darunter auch solche, die ihre Menschlichkeit bewahrt hatten: ein Mädchen schenkte ihm eine Jacke, die den in Sommerkleidung ins NS-Deutschland verschleppten Jungen vor dem Erfrieren rettete; ein Polizist, der ihn und seinen Kollegen erschießen wollte, ließ sie laufen; ein Arzt und Offizier der Wehrmacht versorgte seine Verletzung, die ihm ein deutscher Soldat während des Warschauer Aufstands zugefügt hatte. Die Erfahrung, dass auch in inhumanen Zeiten Einzelne ihre Humanität aufrechterhalten und somit die ihnen eingetrichterte menschenverachtende Ideologie infrage stellen, war für Tadeusz Rolke prägend und wirkte sich auf seine Kunst, die der humanistischen Fotografie zugeordnet wird, aus. Dass er Fotograf geworden ist, hängt direkt mit seiner Situation als Zwangsarbeiter zusammen. Im brandenburgischen Dorf Dobbrikow, wo er dem Bauer Hermann Gensch zugeteilt wurde, stellte er fest, dass ihn der Ackerbau körperlich überfordert. „Frau Gensch fragte mich: Was wirst du machen, da du so schwach bist und nicht arbeiten kannst? Ich antwortete: Ich werde reisen und fotografieren. ... Dass meine Prophezeiung in Erfüllung gegangen ist, kann man auch im Projekt Hin und zurück sehen.“

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Tadeusz Rolke im Polnischen Institut Berlin. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Magische Orte und Worte

In Tadeusz Rolkes Biografie gibt es noch eine andere deutsche Episode: Von 1970 bis Dezember 1981 lebte er in Hamburg, wo er als freier Fotograf mit den Wochenzeitungen Stern, Zeit, Spiegel und dem Art Magazin zusammenarbeitete. 1971 fotografierte er in Düsseldorf Joseph Beuys, der vor seinem weißen VW-Käfer stand: Ein Bild, das zur Ikone wurde. Obwohl Rolke beschloss, dauerhaft in der Bundesrepublik zu bleiben, kehrte er nach der Verhängung des Kriegsrechts nach Polen zurück, um Zeuge der gesellschaftspolitischen Veränderungen zu werden, die er mit seiner Kamera begleitete. Doch politische Fotografie lag und liegt ihm fern, wohl deshalb, weil ihren Sujets und Schauplätzen keine Magie innewohnt. „Ich finde die Orte, die in meiner Erinnerung geblieben sind, magisch und deshalb komme ich manchmal nach sehr vielen Jahren dorthin zurück. Nicht nur die Fotos aus der Zeit meiner Vertreibung sind für mich magisch, manche Fotos aus so genannten ganz normalen Situationen sind es auch.“, sagt Tadeusz Rolke. „Fotografie ist einfach Magie.“

Tadeusz Rolke
Hin und zurück
Kurator: Marek Grygiel

bis 20. Dezember 2019

Polnisches Institut Berlin
Burgstr. 27, 10178 Berlin
Di–Fr 10:00–18:00, Eintritt frei
berlin.polnischekultur.de

Lesetipp:
Tadeusz Rolke. Wie ich unter die Deutschen geriet. Ein Gespräch
edition. FotoTAPETA Berlin, 2019
Preis: 15 Euro
www.edition-fototapeta.eu

Tadeusz Rolkes Archiv mit über 100.000 Negativen und 4.000 Dias ist auf der Seite des Museums für Moderne Kunst in Warschau zugänglich:
artmuseum.pl

Urszula Usakowska-Wolff

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Titel zum Thema Polnisches Institut Berlin:

Fotografie als Magie. Tadeusz Rolke im Polnischen Institut Berlin
Ausstellungsbesprechung: Tadeusz Rolke ist einer der bekanntesten polnischen Fotografen. In der Ausstellung Hin und zurück zeigt er sein neuestes Erinnerungsprojekt sowie frühere Schwarzweißfotografien, die nicht nur in Polen zu Ikonen wurden.

Der Porträtist und Performer Witkacy. In der Galerie des Polnischen Instituts Berlin
Ausstellungsbesprechung: Die Ausstellung unter dem etwas merkwürdigen Titel Witkacy. Ein genialer Psychoholiker im Polnischen Institut Berlin zeigt den Künstler als einen Vorläufer der Konzeptkunst.

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