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Hydra – Goldrausch 2019: Eine Ausstellung mit positiver Aura

von Urszula Usakowska-Wolff (07.12.2019)
vorher Abb. Hydra – Goldrausch 2019: Eine Ausstellung mit positiver Aura

Marlene Denningmann, DRESSCODE UNIFORM, 2019, Filmstill01, © Marlene Denningmann

Das Goldrausch Künstlerinnenprojekt ist ein einjähriges Professionalisierungsprogramm für in Berlin wohnende Bildende Künstlerinnen jeden Alters und jeder Nationalität. Das Programm vermittelt berufsspezifische Kenntnisse, es hilft, sich in der noch immer von Männern dominierten Kunstwelt zu etablieren, Kontakte mit Museen und Galerien zu knüpfen und Netzwerke zu bilden. Die bisher 29 Goldrausch-Jahrgänge haben 419 Künstlerinnen absolviert. Der Höhepunkt des Projekts ist die Abschlussausstellung, die diesmal im Haus am Kleistpark gezeigt wird. Unter dem subversiven Titel Hydra präsentieren 15 Künstlerinnen ihre Werke, welche laut Informationsblatt „wie die vielen Köpfe der schlangenähnlichen Hydra zu einem organischen System zusammenwachsen, jedoch als eigenständige Gebilde auch individuelle Lesearten fordern.“

Das Erste, was nach dem Betreten der Ausstellung die Aufmerksamkeit fesselt, ist ein großes Fenster mit einem halbdurchsichtigen mehrteiligen Vorhang, der sich in sanfte Falten legt und hinter dem ein schneebedecktes Gebirge zu sehen ist. Der Verstand sagt, dass es eine solche Aussicht in Schöneberg nicht geben kann, doch das Auge lässt sich auf das wunderbare Trugbild ein und folgt dem durchschimmernden Bergrücken mit wachsendem Entzücken. Auch der Stoff, aus dem dieses Trompe-l´œil gefertigt wurde, verblüfft. Er wirkt weich, luftig und geschmeidig, ist aber dicht und steif. So fühlt sich tatsächlich Gleitschirmtuch an, worauf Eva Dittrich die Fotografie einer Alpenlandschaft gedruckt hat. Sie ist eine der 15 Künstlerinnen, die ihre Fotoarbeiten, Videos, Installationen, Skulpturen, Zeichnungen und Gemälde im Haus am Kleistpark präsentieren. Darin setzen sich die Hydra-Teilnehmerinnen mit aktuellen Themen wie der sich auflösenden Grenze zwischen Arbeit und Freizeit, dem Verschwinden des Privaten, der Identität, Vergänglichkeit und Flüchtigkeit der Existenz auseinander.


HYDRA Goldrausch 2019
Installationsansicht
Millie Schwier, Eva Dittrich, Marie-Louise Andersson
Foto: Lina Mannherz


Obwohl die Arbeiten einzigartig und individuell sind, haben ihre Schöpferinnen viele Gemeinsamkeiten. Kunst ist für sie ein Forschungsprozess, Ergebnis aufwändiger Recherchen. Sie haben große Freude an der Handwerklichkeit, an der Gestaltung des von ihnen bevorzugten Materials. Die meisten der 15 Künstlerinnen schaffen Installationen, die häufig als Bühnenbilder für ihre musikalischen, poetischen, narrativen und Soundperformances dienen. Verspielt, metaphorisch oder kritisch gehen sie die gesellschaftlichen Probleme an und setzen sie in ansprechenden, mal subtilen und minimalistischen, mal scheinbar chaotischen Arbeiten um, die eine starke körperliche Präsenz entwickeln und mit positiver Energie geladen sind. Es ist anregend, den Werken zu folgen, denn durch ihre gekonnte Platzierung und Inszenierung in den Galerieräumen haben sie eine bemerkenswerte Dynamik und einen unterschwelligen Rhythmus, der die ganze Ausstellung durchzieht.

Die aus Bosnien-Herzegowina stammende Mila Panic beschäftigt sich in ihrem Video Tante aus Deutschland mit der Migration aus dem ehemaligen Jugoslawien und dem Kult, den die Daheimgeblieben um ihre in der Bundesrepublik lebenden Verwandten treiben. Die Videoinstallation Dresscode Uniform von Marlene Denningmann entstand während ihres Aufenthalts in Johannesburg. Sie reflektiert den Zusammenhang zwischen Schuluniform und Apartheidsgeschichte. Die monochromen oder fast monochromen Langzeitzeichnungen von Fiene Scharp sind reliefartige Papierschnitte. Mareike Jacobi ist ebenfalls eine begnadete Zeichnerin, die in ihren Papierarbeiten Zufall und selbst bestimmte Regeln verbindet. Die bröckelnde Betonplatte unter dem Titel Auf einer anderen Ebene ist ein temporäres Werk der Französin Marion Orfilia, das laut Ausstellungskatalog, „einen Perspektivwechsel ermöglicht und so den ungenutzten Raum unter der Decke begehbar macht.“


HYDRA Goldrausch 2019
Installationsansicht
Eva Funk, Millie Schwier
Foto: Lina Mannherz


Die aus London stammende Bildhauerin Milly Schwier fordert in ihrer subversiven Arbeit stop thinking emotionally and start thinking rationally, bestehend aus einer grünen Steckschaumfassade und einer Wachs-Agave mit Fasern der echten Pflanze, scheinbar dazu auf, das emotionale Denken mit dem rationalen zu ersetzen, um schnelle Ergebnisse zu erzielen. Lena Skrabs Beitrag Out of Office ist eine subversive Reklamefahne, die mit standardmäßigen automatischen E-Mail-Antworten für eine digitale Auszeit wirbt. In der zeltartigen Installation I started as donkeys so much, they said please stop der österreichischen Objektkünstlerin und Performerin Eva Funk ist der titelgebende Esel eine Metapher des passiven Widerstands und Rückzugs in die Natur. Die Aneignung der Spuren körperlicher Arbeit wie Löcher, Flecken oder Risse von der Mode untersucht Sara Wahl in ihrem Projekt Ghostwriter.

Die schwedische Malerin Astrid Kajsa Nylander fertigt fantastische Bilder in Form von Knöpfen. Es sind Trompe-l´œils aus der Serie Minijobs, zu der sie die prekäre Situation der Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt inspirierte. Ihr großes Gemälde Kissing the Shuttle widmet sich den schwierigen Arbeitsbedingungen der Textilarbeiterinnen in England Anfang des 20. Jahrhunderts. Eva Dittrich, aus deren Hand die mehrteilige Wandinstallation Relief mit der täuschend echten Aussicht auf die Berge stammt, interessiert sich „für die Verbindungen zwischen dem Vergehen der Zeit und dem stillstehenden fotografischen Bild.“ Das Werk der dänische Performerin und Bildhauerin Marie-Louise Andersson heißt 3 4 5 6 7 8 9 10_un_KNOT und ist eine runde schwarze Skulptur mit weißen Knoten, die kosmische Räume verbinden und am Ende der Ausstellung von der Künstlerin in einen Klangkörper transformiert werden. Als Triptychon arrangierte Melo Börner zwei Porträts mit einem Torso dazwischen, die sich hinter einem Netz aus transparenter Folie befinden. Darauf befestigte sie weggeworfene Plastikflaschen, bunte Glitzersteine und weiße Steinanhänger auf Wollfäden, die wie seltsame Votivgaben aussehen, wodurch ihre Installation Monsters, Flesh, Holes and Mud fast schon sakral wirkt.


HYDRA Goldrausch 2019
Installationsansicht
Melo Börner, Sara Wahl, Astrid Kajsa Nylander
Foto: Barbara Green


Den letzten Galerieraum teilen sich Ana Hupe aus Rio de Janeiro und Martine Heuser aus Kopenhagen, die ihn in eine Art Kapelle verwandeln. Die brasilianische Fotografin geht vergessenen oder verdrängten Geschichten nach, die häufig mit Migration und Dekolonisierung zusammenhängen. Die dreiteilige Wandinstallation Footnotes for a triangular cartography ist das Resultat ihrer Beschäftigung mit der Yoruba-Kultur in Nigeria und den darauf beruhenden Religionen auf Kuba und in Brasilien. Dem immer wieder beschworenem Tod der Skulptur setzt die Bildhauerin Martine Heuser ihre Werkgruppe Nekropolis entgegen. Sie schafft programmatisch nichts Neues, sondern gräbt wie eine Archäologin das bereits Vorhandene und Verborgene aus. „Ein Monument zu sein besteht darin, dem scheinbar Unbegreiflichen eine Stimme zu verleihen“, sagt sie. Kunst ist einfach gut, wenn sie das immer tut.

Hydra – Goldrausch 2019
bis 8. Dezember 2019
Di – So 11 – 18 Uhr

Haus am Kleistpark
Grunewaldstr. 6/7,10823 Berlin
Ausführliche Informationen zu den Künstlerinnen, der Ausstellung und dem Begleitprogramm unter
goldrausch.org

Urszula Usakowska-Wolff

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