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Wort, Schrift, Bild: Natalie Czech und Friederike Feldmann im KINDL

von Urszula Usakowska-Wolff (02.02.2020)
vorher Abb. Wort, Schrift, Bild: Natalie Czech und Friederike Feldmann im KINDL

Natalie Czech / Friederike Feldmann, Installationsansicht / Installation view
Maschinenhaus M2, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin / Maschinenhaus M2, KINDL – Centre for Contemporary Art, Berlin
Foto / Photo: Jens Ziehe, 2019, © Natalie Czech / Friederike Feldmann / VG BILD-KUNST, Bonn, 2019


Die Doppelausstellung Natalie Czech / Friederike Feldmann im Maschinenhaus M2 des KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst lässt fast 60 Werke der beiden Künstlerinnen, die sich mit den Beziehungen zwischen Wort, Schrift und Bild befassen, in Dialog treten.

Sie wirken auf Anhieb luzid und kohärent, die kleinen und mittleren Formate von Natalie Czech (*1976 in Neuss) und Friederike Feldmann (*1962 in Bielefeld), schwarzweiß oder von sparsamer Farbigkeit; einzeln, zu zweit oder in einer Reihe an die Wände gehängt. Äußerst reduziert auch ihre geschwungenen Linien-Zeilen, direkt auf die Decke gemalt. Nichts lenkt vom Sehen ab, kein Wandtext erklärt die ausgestellten Werke.



Friederike Feldmann
PS 1, 2011
pigmentierte Tinte auf Baumwolle, 170 x 120 cm
© Friederike Feldmann / VG BILD—KUNST, Bonn, 2011


Poetisches Potenzial des Alltags

„Ich schreibe nur Gedichte anderer Autoren“, sagt Natalie Czech. Das klingt verblüffend, ist aber wirklich so. Auf ihren konzeptuellen Fotografien bringt sie vorhandene Texte und Bilder zusammen und stellt sie in einen neuen Kontext. In der 2017 begonnen Serie Poems by Repetition wiederholt, das heißt verdoppelt oder vervielfacht sie fotografierte Objekte, wie zum Beispiel das Poster aus dem White Album der Beatles, übermalt den vorhandenen Text und enthüllt die darin verborgenen Zeilen aus dem Gedicht how to be des 2009 in Moskau verstorbenen Vsevolod Nekrasov, eines der führenden Vertreter der Konkreten Poesie. Die Buchstaben aus Beschriftungen auf Gegenständen wie Küchenmesser, Bleistifte, Tüten und Schallplatten verwendet Czech zur Bildung von Anagrammen, aus denen die Werkreihe Poet´s Questions (2018/2019) besteht. Die Fragen des Dichters sind das Ergebnis einer aufwändigen und langwierigen Recherche der Künstlerin. Sie drücken ihre Bewunderung für Dichter aus, welche die Poesie revolutioniert haben: Charles Bernstein, Lev Rubinstein, Allen Ginsberg, Eugen Gomringer und Emmett Williams, um nur einige Namen zu nennen. Sie eignet sich ihre Gedichte an, um sie buchstäblich und bildlich lesbar zu machen. Ihre poetischen Fragen, Antworten und Gegenfragen kommen auch auf einer Packung Kopierpapier zum Tragen und ermöglichen ihnen einen Dialog über existentielle Probleme.
"Ich möchte Texte, die vorhanden sind, anders lesen" so die Künstlerin "damit das poetische Potential in alltäglichen Texten auftauchen kann.“ Welches auch in Zigarettenkippen steckt. Ihnen widmet Natalie Czech die siebenteilige Serie Cigarette ends (2019), die an die Wände eines Kabinetts am Ende des Maschinenraums M2 in einer Endlosschleife projiziert werden. Ihre sichtbaren Markennamen, unter anderem Life, Time, Kiss, Star, Leader, Rebel, Champion fügt die Künstlerin zu Minimal Poems zusammen. So hat sie offensichtlich selbst zu dichten begonnen. Was auch die Raucher erfreut, denn sie liefern ja den Stoff, aus dem diese Poesie ist.


Natalie Czech
A negative calligramme by Quinn Latimer (Cleaning), 2018
Archival Pigment Print, 99 x 75,8 cm 
Courtesy: Capitain Petzel, Berlin / Kadel Willborn, Düsseldorf
© Natalie Czech / VG BILD-KUNST, Bonn, 2018


Spuren in Handschriften

Die Titel der Zeichnungen von Friederike Feldmann aus der Serie Onliner (2014-2019), Schreiben vom… (2010-2011) oder Schreiben, privat (2016) suggerieren, dass es sich um ihre handschriftlichen Notizen oder Briefe handelt. Es ist nicht zu übersehen, dass die Künstlerin eine energische Handschrift hat, doch die Erwartung zu erfahren, was und worüber sie schreibt, wird nicht erfüllt. Das Auge müht sich zwar, den Inhalt der geschwungenen Linien-Zeilen zu enträtseln, und meint, hier und da einzelne Buchstaben zu erkennen. Das ist vergeblich, denn die blattfüllenden Kompositionen und die zackige, temporäre Deckenmalerei unter dem Titel Headlines besagen nichts, es sind abstrakte Zeichenketten, die wie eine täuschend echte Handschriften anmuten. „Ich wollte die Schrift vom sprachlichen Inhalt lösen“, erklärt Friederike Feldmann. „Ich habe mir das einfach vorgestellt, mal etwas ohne Bedeutung zu schreiben, doch das war es nicht, weil wir immer eine sprachliche Absicht verfolgen. Dann habe ich mich in einen halbbewussten Schreibzustand versetzt; in der Psychoanalyse heißt das freischwebende Aufmerksamkeit. Die Schreibbewegung, die wir ja alle lernen, ist tatsächlich meine Handschrift.“ Fremde Handschriften – aus der Barockzeit bis ins 19. Jahrhundert – waren die Inspirationsquelle für ihre Serie lyrics (2012). Welche Dynamik diese mit Schnörkeln, Bögen und wolkenartigen Formen verzierten Blätter in sich bergen, ist unbeschreiblich. Manche erinnern an Kalligrafien, andere an Illustrationen der Naturgewalten oder schnell skizzierte Porträts. In lyrics verbindet Friederike Feldmann ihre Handschrift mit der von (nicht genannten) Autorinnen und Autoren aus mehr oder weniger fernen Zeiten, um aus alten Schriftzeichen neue Bilder zu schaffen. Sie zeigt, dass Kunst, die aus der Vergangenheit schöpft, mitnichten alt aussehen muss, denn so „verbindet sich die Spur meiner eigenen Bewegung mit der Spur, die ich in anderen Werken sehe.“

Es ist kein Zufall, dass die Berliner Künstlerinnen Natalie Czech und Friederike Feldmann zur Teilnahme an dieser Doppelausstellung eingeladen wurden. Zum einen ist Kunst für sie ein Forschungsprozess, in dem sie akribisch und mit beeindruckender Konsequenz untersuchen, wie Bedeutungen konstruiert, modifiziert oder konterkariert werden. Zum anderen haben ihre Papierarbeiten ein menschliches Maß und eine Form, die den Blick auf den Inhalt nicht verstellen. Sie sind eine Hommage an das handschriftliche Schreiben, ein Zeichen der Individualität in Zeiten, in denen vielen Menschen diese Fertigkeit abhandengekommen ist. Und bringen die auch in prosaischen Dingen und Texten schlummernde Poesie zum Vorschein.

Natalie Czech / Friederike Feldmann
Bis 2. Februar 2020
KINDL – Zentrum für Zeitgenössische Kunst
Am Sudhaus 3, 12053 Berlin
Mi-So 12-18 Uhr
www.kindl-berlin.de

Urszula Usakowska-Wolff

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