Sounds Künstlicher Intelligenz: Raumklanginstallation Radiosands im HAL
von Urszula Usakowska-Wolff (29.08.2019)
Thom Kubli, Radiosands, HeK Basel, 2019, Image © Aya Imamura
Ein kurzes Gastspiel im Haus am Lützowplatz: Die akustische Echtzeitcollage unter dem Titel Radiosands von Thom Kubli und Sven Hirsch.
Auf zwei schwarzen Beinen, die auf einem kreisrunden Fuß ruhen, stehen Radios mit abgerundeten Kanten, Drehköpfen und Antennen: Fragile Skulpturen unterschiedlicher Größe, die wie kyklopenartige Kopffüßler aussehen. Die einen müssen wir gebückt betrachten, mit den anderen befinden wir uns auf Augenhöhe, zu einigen blicken wir auf. Wie auf ein unsichtbares Kommando leuchten die Displays der 16 in drei Räumen gruppierten Objekte weiß, rosa oder grün auf, und eine Kakophonie aus chaotischen Geräuschen breitet sich aus im Haus. Die Ohren mühen sich, darin vertraute Töne und Laute zu erkennen, und filtern nach einer Weile Wortbrösel und Musikschnipsel heraus. Was sind das für Inhalte, die diese Radioempfänger übertragen? Reale oder fiktive? Welche Botschaft birgt der akustische Wirrwarr?
Emotion, Kognition, Selektion
Radiosands ist eine begehbare und unüberhörbare Installation, konzipiert und entworfen vom Berliner Komponisten und Künstler Thom Kubli (* 1969 in Frankfurt am Main), für die er (analoge) UKW-Radioprogramme aus der unmittelbaren Umgebung des Hauses am Lützowplatz nutzt, um sie mithilfe eines Systems der Künstlichen Intelligenz (KI) zu manipulieren. Der in Zusammenarbeit mit Sven Hirsch und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften programmierte KI-Algorithmus „sucht nach hundert Schlagworten, er fischt im Bereich des Politischen, im Bereich der Emotion und der Kognition. Das ist ein relativ rudimentärer Versuch einer Weltkonstruktion, denn die Welt setzt sich aus sozialen und politischen Entitäten, aus Wahrnehmung und Gefühlen zusammen. Das ist auch eine ganz basale Form, mit Sprache zu operieren, also den Ausgangspunkt, den Algorithmus zu schaffen, der seine eigenen Entscheidungen der Selektion trifft“, sagt Thom Kubli. „Die Wirklichkeit ist ein Konstrukt aus Informationen, die wir durch unterschiedliche Kanäle wie Gespräche, Medien, und Internet aufnehmen und die sich zu einem Narrativ formen. Ich fand es interessant, die Schaffung eines solchen Narrativs an eine Maschine zu delegieren, die es ad absurdum führt. Es ist im Prinzip die Ästhetisierung von Informationen, die in viele kleine Teile zerlegt und mit einer sehr hohen Geschwindigkeit verbunden werden, was so etwas wie Zusammengehörigkeit evoziert, obwohl das ein ganz disparates Material ist. Kann man diese Informationsflut überhaupt aufnehmen, verarbeiten und ihr eine Bedeutung ableiten, oder ist das alles nur ein ästhetisches Phänomen?“
Thom Kubli, Radiosands, HeK Basel, 2019, Image © Aya Imamura
Sortieren, um zu konstruieren
Die für unsere Ohren geschaffene akustische Echtzeitcollage Radiosands geht nicht aus dem Kopf: Sie regt an, darüber nachzudenken, wie wir mit den Mengen an Informationen, Sensationen, statischen und bewegten Bildern in sozialen und anderen Medien fertigwerden. Können wir uns überhaupt noch richtig konzentrieren und das Wichtige vom Unwichtigen, das Schöne vom Hässlichen, das Wahre vom Fiktiven, das analoge Sein vom virtuellen Schein unterscheiden? Können wir das Gesehene und Gelesene mit eigenen Worten oder nur mit Floskeln ausdrücken? Sind wir noch dazu fähig, uns ein eigenständiges Bild von der Welt zu machen, oder werden wir von Algorithmen gelenkt, die unsere digitalen Spuren im Netz genauestens verfolgen, unsere Gewohnheiten, Sympathien und unser Konsumverhalten kennen und versuchen, uns mit verschiedenen mehr oder weniger versteckten Werbeangeboten und anderen Glücksverheißungen zu ködern? Informationen gibt es „über die Maßen viel wie Sand am Meer.“ Das ist ein Zitat aus der Bibel, passt aber zu unserem heutigen Leben, dessen Großteil viele von uns in ihren „online-Filterblasen“ verbringen, in denen, so Thom Kubli, „Algorithmen die tägliche Informationsflut sortieren, damit wir aus ausgewählten Bruchstückchen unsere eigene Realität konstruieren können. Wie kleine Sandkörner fügen wir die Fragmente zusammen, bis sie als Ganzes Sinn ergeben.“ Und dieses Ganze ist häufig wie der sprichwörtliche Wald, den man vor lauter Bäumen nicht sieht.
Radiosands klingt wie unsere heutige schnelllebige und flüchtige Welt, in der alles gleichzeitig geschieht, kaum registriert wird und sich flugs in Wohlgefallen auflöst. Also sehen und hören Sie die Echtzeitcollage an, die nur noch bis Sonntag im Haus am Lützowplatz ausgestellt wird. Bei der Berührung mit dem Sound dieser schönen Gegend geraten Sie ins Staunen – und Ihre Ohren werden Augen machen. Ob der Rammstein-Song auch zur Radiosands-Sonorität beiträgt, konnte ich akustisch nicht verstehen.
Im Rahmen der Langen Nacht der Museen, am Samstag, den 31. August:
Führung (german)
18:30 Uhr I 19:30 Uhr
Kurzführung mit der Kuratorin Tina Sauerländer durch die Soundinstallation
„Radiosands“ von Thom Kubli. Die Installation ist in Zusammenarbeit
mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
entstanden, die in Echtzeit Radiosendungen manipuliert und in eine
akustische Choreographie verwandelt.
Guided Tour (english)
7 p.m. I 8 p.m.
Thom Kubli mit ZHAV/Sven Hirsch
Bis 1. September 2019
Haus am Lützowplatz
10785 Berlin
Di-So, 11-18 Uhr
www.hal-berlin.de
Urszula Usakowska-Wolff
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Titel zum Thema Haus am Lützowplatz :
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Ausstellungsbesprechung: Ein kurzes Gastspiel im Haus am Lützowplatz: Die akustische Echtzeitcollage unter dem Titel Radiosands von Thom Kubli und Sven Hirsch.