Jessica Rankin und Paul Pfeiffer in der Galerie carlier | gebauer
von Urszula Usakowska-Wolff (18.04.2019)
Jessica Rankin, There and Not There, 2018, linen with embroidery, fabric and paint, 182,9 x 243,8 x 7,6 cm, courtesy of the artist and carlier | gebauer,
Berlin. Photo: Trevor Good.
Intime Landschaften und eine demontierte Pop-Ikone: There is Not There von Jessica Rankin und der Incarnator von Paul Pfeiffer bei carlier | gebauer
Gleich zwei Ausstellungen werden gegenwärtig in der Galerie carlier | gebauer gezeigt: Neue Bilder von Jessica Rankin und eine ebenfalls 2018 entstandene Multimedia-Installation von Paul Pfeiffer.
Sieben zum Teil großformatige Bilder der in New York lebenden Künstlerin Jessica Rankin (* 1971 in Sydney) hängen in dem kleineren Galerieraum und verwandeln ihn in einen auratischen Ort. Es entfaltet sich eine feinsinnige Welt in Pastell, in der das Grün, Rot, Violett oder Magenta manchmal etwas kräftiger aufleuchten. Mal scheinen die biomorphen Farbflächen zu ruhen, mal scheinen sie in Bewegung zu sein, sie pulsieren und rotieren wie Galaxien. Statik und Dynamik sind für Jessica Rankin keine Gegensätze, sondern Teil eines – programmatisch – unfertigen Ganzen, was der Titel des Bildes In Making andeutet. Im Leben eines Individuums und des Universums ist alles im Werden, es ist ein Kreislauf aus Entstehen und Vergehen, ein Prozess ohne Ende.
Von Jessica Rankin umgarnt
Was aber die zarten und transparenten Schöpfungen auszeichnet, ist, dass ihre wahre Schönheit nicht nur von innen, sondern auch von außen kommt. Dass sie keine herkömmlichen Gemälde sind, ist zu erkennen, wenn man sie aus der Nähe betrachtet. Und siehe da: Die Malerin wickelt das Publikum mit raffinierten Assemblagen aus Leinen, Stoff, Zwirn und Garn um den Finger. Die Leinwände, die von ihr nie ganz bemalt werden und somit ein fester Bestandteil der Kompositionen sind, bedeckt sie mit Farbklecksen und Farbfeldern, welche sie mit abstrakten Mustern aus geraden oder leichtgebogen Filamenten bestickt. Einige haben Ähnlichkeit mit Reisig, andere wölben sich wie kleine Hügel und bilden seltsame Landschaften. Auf den bespannten Keilrahmen und den farbigen Bildelementen sind gestickte Worte oder Zeilen zu lesen:
I Desire to Enter, Splendid with Teats, Thread Suns, Making, Vibrate oder
No More Than a Bread. Langsam dämmert es mir, die ganz unvoreingenommen an die Werke gegangen war, dass bei Jessica Rankin nicht nur Farben und Fäden, sondern auch Poesie im Raum steht.
Jessica Rankin, There and Not There, detail, 2018, linen with embroidery, fabric and paint, 182,9 x 243,8 x 7,6 cm, courtesy of the artist and carlier | gebauer,
Berlin. Photo: Trevor Good.
Konstellationen unter Fadensonnen
Nach einigen Recherchen überzeugte ich mich davon: Die gezeigten Bilder entstanden unter dem Einfluss der Lyrik von Paul Celan. Der Ausstellungstitel There Is Not There lautet in der deutschen Originalfassung Dort und Nicht-da, der Titel des Bildes No More Than A Breath ist die englische Übersetzung eines Fragments der Zeile es ging blind nur ein Atem dazwischen, der von Splendid With Teats heißt auf Deutsch zitzenprächtig die Zeit. Alle drei sind seinem Gedicht Soviel Gestirne (1963) entnommen, in dem der Dichter galaktische Wege, die Vergänglichkeit der Liebe, verglühende Erinnerungen und die mit dem was ist oder war oder sein wird bewachsene Zeit beschreibt. Es gibt so viele Konstellationen unter den Thread Suns – den Fadensonnen (1968), so der Titel eines bildgewordenen Gedichts von Paul Celan. Der große Sprachkünstler hat in Jessica Rankin eine kongeniale Interpretin gefunden. Sie schafft es, seine Sprachbilder in eine Bildsprache zu übersetzen, auch für jene verständlich, die ihre Inspirationsquelle nicht kennen.
Jessica Rankin, Splendid with Teats, detail, 2018, linen with embroidery and paint, 152,4 x 152,4 x 3,8 cm courtesy of the artist and carlier | gebauer,
Berlin. Photo: Trevor Good.
Gebeine eines gefeierten Stars
Während Jessica Rankins Bildserie There is Not There eine Hommage an Paul Celan ist, ist der Film Incarnator und die 21-teilige skulpturale Installation des New Yorkers Multimediakünstlers Paul Pfeiffer (* 1966 in Honolulu), die er 2018 auf den Philippinen schnitzen ließ, eine Demontage der Pop-Ikone Justin Bieber. Sein zerstückelter Körper, lebensgroße Holzplastiken der Arme, Beine, des Torsos und des haarprächtigen Hauptes ist jetzt wie Reliquien eines zeitgenössischen Heiligen im größten Raum der Galerie carlier | gebauer ausgestellt.
Der von Pfeiffer gewählte Titel Incarnator stammt vom spanischen Wort encarnator und ist doppeldeutig: zum einen werden so philippinische Handwerker bezeichnet, die den Heilgenfiguren eine Hautfarbe verpassen, welche sie wie lebende Menschen aussehen lässt. Zum anderen gibt sich Justin Bieber, den seine „Beliebers“ genannten Fans überall auf der Welt wie einen Santo verehren, allen Ernstes als „Son Of God“ zu erkennen; er hält sich also für die Verkörperung eines zum Gott gewordenen Menschen. Doch dieser im zarten Alter von 15 Jahren zu einem internationalen Megastar aufgestiegene singende Knabe aus der Stadt London in der Provinz Ontario in Kanada ist ein Produkt der globalen Musikindustrie. Obwohl beide Seiten daran bisher gut verdienen, ist Justin Bieber der verführte Verführer. Sein Ruhm hat ihm die Kindheit gestohlen, den Kopf verdreht, seine gesundheitlichen Probleme und Skandale werden in den Medien mit Genuss und Schadenfreude ausgewalzt.
Paul Pfeiffer, Incarnator, Installationsdetail, carlier | gebauer. Foto: Urszula Usakowska-Wolff
Neue Götzen braucht die Welt
Justin Bieber verwandelt sich zunehmend in eine lächerliche, wirklichkeitsfremde und artifizielle Figur wie so viele einstige Kinderstars und Massenidole vor ihm auch. Für seine Fans, zu denen Millionen Mädchen auf der ganzen Welt gehören, ist er aber der neue Heiland. Das ist auch das Thema des Films Incarnator von Paul Pfeiffer. Am Beispiel des vergötterten Sängers und seiner minderjährigen Verehrerinnen zeigt er eine nach neuen Götzen lechzende, durch und durch kommerzialisierte Welt, die große Kasse mit den verdummten Massen macht, indem sie sie mit ominösen scheinbar religiösen Events und ihren gerade angesagten Heroen bei Laune hält.
Ja, heute ist alles viel schlimmer und nur eins besser geworden: Das alte Märchen Des Kaisers neue Kleider hat keine Gültigkeit mehr: Da Biebers Haut zahlreiche Tattoos schmücken, ist er – selbst unverhüllt – immer cool angezogen.
carlier | gebauer
Markgrafenstraße 67, 10969 Berlin
Bis 18. April 2019
Di-Sa 11-18 Uhr, Eintritt frei
www.carliergebauer.com
Urszula Usakowska-Wolff
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