„So viele Leute, so wenige Menschen“, klagte einst Erich Kästner. An den fotografischen Porträts von Hans-Jürgen Raabe hätte er seine Freude gehabt. Denn in ihnen begegnen uns Menschen. Viele Menschen – 990 sollen es im Laufe von Raabes Langzeitprojekt werden. Und schauen uns unmittelbar und offen ins Gesicht. 390 Porträts sind schon fertig. Sie sind an weltweit 33 Orten entstanden.
Eine Auswahl davon zeigt die Galerie Photo Edition Berlin am Prenzlauer Berg bis zum 15. Oktober. Neben Raabes Werkreihen aus Myanmar, Lourdes und von der dOCUMENTA (13) umfasst dies auch die neu publizierten Serien von Eiffelturm und Brandenburger Tor sowie aus Papua Neuguinea.
Mit „900 FACES“ setzt der 1957 geborene Fotograf einen Kontrapunkt gegen die Gleichgültigkeit. In einer Zeit, in der allerorten ein Handy- oder Tableau-Display die Aufmerksamkeit absorbiert, sucht er den Blickkontakt. „Ich möchte Gesichter zeigen. Und das, was uns Menschen ausmacht“, betont er. Ein ehrgeiziger Ansatz. Und irgendwie wohltuend altmodisch.
Um das Bild des globalen Menschen zu zeichnen, zieht es Raabe an Orte, die unterschiedlicher kaum sein können. Während die Idee zu dem Projekt 2010 in Myanmar entstand, führten ihn die anschließenden Reisen in den Wallfahrtort Lourdes und das Münchner Oktoberfest. Doch bevor Raabe nach den Gesichtern Ausschau hält, lässt er das Umfeld auf sich einwirken. Nicht immer sei die Energie eines Ortes für ihn auf Anhieb greifbar. Es könne auch schon mal drei bis vier Tage dauern, bis sich der „Flow“ einstellt, den er zum Arbeiten brauche. Mit „Stills“, die den jeweiligen Ort porträtieren, ergänzt der Fotograf dann die „Faces“ einer Serie.
Raabe, der lange Jahre als Journalist und Theaterfotograf tätig war, verlässt sich auf seine Intuition. Er ist überzeugt: „Wer in ein anderes Gesicht schaut, mit dem passiert etwas.“ Der perfekte Moment offenbare sich dann von selbst. Raabe fotografiert die Menschen heimlich. Doch anders als etwa Walker Evans, der 1937 in der New Yorker U-Bahn seine „Subway Portraits“ mit versteckter Kamera realisierte, gibt er sich später zu erkennen.
Raabe glaubt, dass eine innere Verbindung zwischen ihm und den Porträtierten entstehe, so dass diese sich ihm früher oder später ganz natürlich zuwendeten. Erst nachdem er den Auslöser gedrückt hat, bittet er um das Einverständnis – und erhält dieses fast immer. Die meisten Menschen schauen ihn offen an, viele lächeln, kommunizieren. Sie bleiben namenlos, ihr Beruf und sozialer Status ist für Raabe ohne Bedeutung.
Als Zugeständnis an ein digitales Zeitalter schließt er Schwarz-Weiß-Fotografie aus und hält sich bei der späteren Präsentation strikt an die Reihenfolge, in der die Bilder entstanden sind. Auch retuschiert er diese nicht, um den Eindruck von Spontaneität und Natürlichkeit zu bewahren. Stattdessen bekennt er sich zu „unaufdringlichen, unspektakulären Normalität“.
Da er „klein und unscheinbar“ sei, werde er meist nicht bemerkt, erklärt der Fotograf bescheiden. Und auch seine Ausrüstung sei nicht auffällig: Mit einer einzigen Kamera und einem Zoomobjektiv von 28 bis 110 mm könne er sich dezent im Hintergrund halten. Bis er abdrückt.
Auf Raabes Bildern rücken die Orte in den Hintergrund, der Mensch steht im Zentrum. So etwa lässt die Serie „Markusplatz“ den Betrachter vergessen, dass es sich bei dem venezianischen Platz um einen der frequentiertesten Reiseziele der Welt handelt. Und auch die Porträtierten scheinen das vergessen zu haben. Touristenscharen und Trubel sind ausgeblendet. Stattdessen entspannte, beseelte Gesichter. Menschen, die ihren Gedanken nachhängen. „Jeder Mensch ist auf spannende Art einmalig und faszinierend“, so das Credo eines bekennenden Philanthropen.
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Titel zum Thema Hans-Jürgen Raabe:
Der Menschenfänger - Hans-Jürgen Raabe bei Photo Edition Berlin
Ausstellungsbesprechung: „So viele Leute, so wenige Menschen“, klagte einst Erich Kästner. An den fotografischen Porträts von Hans-Jürgen Raabe hätte er seine Freude gehabt.
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