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Berlin Daily 23.11.2024
Gespräch mit Nanne Meyer

19 Uhr: Künstlerin mit dem Schwerpunkt Zeichnung. Im Rahmen der Finissage zur Ausstellung "(Dis)ordering Things". oqbo | raum für bild wort ton | Brunnenstr. 63 | 13355 Berlin

Höllenfahrt mit Pinzette. Der neue Film über Leni Riefenstahl von Andres Veiel

von Daniela Kloock (07.11.2024)


Höllenfahrt mit Pinzette. Der neue Film über Leni Riefenstahl von Andres Veiel

Kontaktbogen aus dem Bestand von Heinrich Hoffmann, Bayerische Staatsbibliothek/Bildarchiv: Adolf Hitler begrüßt Leni Riefenstahl in ihrer Villa in Berlin-Dahlem (1937)

Pinzetten nutzt der Mensch, wenn etwas besonders delikat ist, oder schlichtweg Ekel erzeugt. Andres Veiel hat „sein Material“, wie er in zahlreichen Interviews betont, mit eben diesem Werkzeug gesichtet und bearbeitet. Dabei geht es um nichts Geringeres als um den bisher unveröffentlichten Nachlass von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl: 700 Kisten mit Filmdosen, Kalendern, Briefen, Telefonmitschnitten, Tagebüchern, Fotos, Korrespondenzen sowie privaten Filmaufnahmen ihres 40 Jahre jüngeren Lebensgefährten. Eine gewaltige Menge also an bisher Ungesichtetem, mit dem sich Andres Veiel und sein Team drei Jahre lang beschäftigten. Eine Höllenfahrt sei das gewesen, so der Regisseur, der wie zuletzt in seinem Film über Joseph Beuys, erneut den Versuch wagt, ein Archiv zum Sprechen zu bringen. Was kam dabei heraus?

Leni Riefenstahl, das macht der Regisseur relativ schnell deutlich, hat ihren Nachlass akribisch aufgearbeitet. Ihr Image als unpolitische Künstlerin sollte für die Nachwelt garantiert sein. Bis zu ihrem Tod, sie starb 101-jährig in Pöcking am Starnberger See, hielt sie daran fest, nichts von den Grausamkeiten des NS-Regimes, von Hitlers Politik und seiner Ideologie gewusst zu haben. Ihre Filme sollten nur als reine Kunstwerke gesehen werden, propagandistische Intentionen seien ihr nie in den Sinn gekommen. Dabei ist jedoch belegt (z. B. durch die Tagebücher von Joseph Goebbels), dass ihre Reichsparteitagsfilme, allen voran „Triumph des Willens“ und ihr Film „Olympia“ über die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin, zum Teil im Auftrag und mit finanzieller Unterstützung des Führers entstanden sind. Auch sei sie nie an Untaten wie der Erschießung von Juden oder der Zwangsrekrutierung von Sinti und Roma für ihren Film „Tiefland“ beteiligt gewesen. Leni Riefenstahl hat sich zeitlebens gegen sämtliche Vorwürfe verteidigt und sich bis zuletzt als Opfer zu inszenieren gewusst. Veiel zeigt eine fanatische, verärgerte, bisweilen aggressive Frau, die bis zu ihrem Lebensende 2003 sämtliche Flecken und Unstimmigkeiten ihrer Vita zu tilgen versuchte.

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Kästen mit Bildern aus dem Nachlass von Leni Riefenstahl (© Majestic)

Aber reicht das als Grundidee für einen fast 120-minütigen Film? Zumal sich der Regisseur im Dickicht des Materials zu verlieren droht, seine Einspielungen wiederholt und weder eine dramaturgische Spannung noch eine formal-ästhetisch überzeugende Gestaltung findet. Sein Riefenstahl-Film ist leider nur eine langatmige Beweisaufnahme, eine biedere „Lebens-Lüge-Aha-Rekonstruktion“. Statt einer Pinzette hätte es also eher einer starken Fragestellung bedurft.

Doch an einer solchen mogelt sich Andres Veiel komplett vorbei. Was macht denn die Riefenstahl-Filme und Bilder so verführerisch, dass sie bis heute faszinieren, dass sie stilbildend waren und sind? Was ist das für eine Ästhetik, die so viele Bewunderer und Nachahmer findet? In Veiels Film sieht man einmal kurz Andy Warhol neben Leni Riefenstahl sitzen. Das bleibt nicht nur unkommentiert, sondern auch völlig kontextlos. Eine Liste von Riefenstahl-Fans wäre lang und disparat. Luis Bunuel, Charly Chaplin, Jean Cocteau müssten darauf genau so genannt werden wie Helmut Newton, David Bowie, Jodie Foster oder Madonna. Georg Lucas zitiert Riefenstahl in einem seiner ersten Star-Wars-Filme, der großartige Stanley Kubrick ehrte sie schlichtweg als „Erfinderin einer neuen Bildsprache“, und für Quentin Tarantino ist sie die beste Regisseurin, die jemals lebte.

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Leni Riefenstahl kontrolliert ihr Aussehen für die Aufzeichnung zur dreiteiligen Dokumentation „Speer und er“ von Regisseur Heinrich Breloer (1999) (© Bavaria Media)

Was also ist dran an Leni Riefenstahl, nicht als „Busenfreundin Hitlers“ - das ist hinlänglich durchleuchtet, dazu hätte es des Films von Andres Veiel nicht bedurft -, sondern als „Revolutionärin des Kinos“? Wo fängt Kunst als Propaganda an? Und was genau ist eine faschistische Ästhetik? In ihren Filmen hat Leni Riefenstahl jedenfalls eine gekonnte Mischung „gehext“. Sie arbeitete nicht nur mit dynamischen Schnitttechniken, lange bevor diese in einen Stilkanon aufgenommen wurden, sondern sie operierte auch souverän mit der bewegten Kamera - Dsiga Wertow hat sie sicher ebenso studiert wie Sergej M. Eisenstein. Sie experimentierte mit Verdichtungen von Bild- und Blickfeldern und mit einer immer noch fantastisch zu nennenden Bilddramaturgie und Lichtregie, die sie nicht zuletzt in den Bergfilmen Arnold Fancks ausgiebig kennengelernt hatte.
Im thematischen Zentrum all ihres Schaffens stand letztlich der menschliche Körper in seiner Schönheit und ja, auch in seiner Gesundheit und Kraft. Gerade in einer Zeit ausufernder Schönheitschirurgie und exponentiell wachsender Selbstoptimierung wird ihr vorgeworfen, sie habe nie hässliche oder kranke Menschen gezeigt, und deshalb seien ihre Bilder faschistisch. „Warum sollte ich denn hässliche Menschen fotografieren?“, fragt sie an einer Stelle des Films. Ja, warum eigentlich?

Fragen über Fragen, die weder Andres Veiels Film noch ein äußerst unglücklich besetztes Diskutanten-Podium (in der Akademie der Künste anlässlich der Filmpremiere) noch nicht einmal, ja sollte man sagen zu stellen wagte? Eben doch nur Pinzette!

RIEFENSTAHL
Regie & Drehbuch Andres Veiel
Produktion Sandra Maischberger

Läuft aktuell im Kino.

Daniela Kloock

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