19 Uhr: Künstlerin mit dem Schwerpunkt Zeichnung. Im Rahmen der Finissage zur Ausstellung "(Dis)ordering Things". oqbo | raum für bild wort ton | Brunnenstr. 63 | 13355 Berlin
Der menschliche Körper ist ohne Trost – verletzbar und rätselhaft. Er tut, was er will. Da hilft keine Aufklärung, kein Licht, schon gar keine Homöopathie. Und nicht erst seit Dr. Sigmund Freud redet man von etwas „Objektivem“ oder sogenannten Realem, von einer „Sphäre“ der Träume und Wünsche und einem Selbst, welches ständig gezwungen ist, sich diesem Durcheinander zu stellen. Die Bilder und Zeichnungen der Berliner Künstlerin Galli sind Antworten auf solch komplexe Gemengelagen. Dabei kennen sie weder Beschönigungen noch eine Sehnsucht nach dem perfekten, geheilten oder vollständigen Körper. Auch geordnete Verhältnisse, die (männliche) Häupter und Behauptungen bevorzugen, haben bei dieser Malerin eher „schlechte Karten“.
Gallis Bilder sind von merkwürdigen, häufig kopflosen Gestalten bevölkert, deren Sein elementar vertrackt ist. So verdreht, verzwirbelt und verzerrt sind sie, dass man als Betrachter nicht weiß, wo oben und unten, hinten und vorne sein soll, oder wo das ist, was man gemeinhin Gliedmaßen nennt. Tentakelartig greifen diese Wesen nach der Welt, mal spielerisch, mal aggressiv, mal mit gefährlichen Wurf- oder Hiebwaffen ineinander verharkt - dann und wann auch in merkwürdig sexueller Verknotung.
Trotz all dem herrscht kein existenziell katastrophaler Ton, wie etwa in Gemälden von Francis Bacon. Wenngleich die Verortung der in der Ausstellung gezeigten Figuren entfernt an den britischen Maler erinnern mögen. Gallis Zeichnungen vor allem sind comicartig zugespitzt, die Bilder von hintergründigem Witz, der durchaus böse daherkommen kann. In ihrer Pinselführung, in der Verbindung zu literarischen Texten, zur Sprache überhaupt, denkt man zuweilen an den Berliner Maler Walter Stöhrer. Auch er war ein rebellischer Einzelgänger, der gerne ganze Flächen ins Schwarze absinken ließ. Apropos Berlin. Die 1944 im Saarland geborene Künstlerin kam über die Werkkunstschule Saarbrücken 1969 in die Mauerstadt. Hier war, wie sie in einem Interview ausführt, zu dieser Zeit „die Hölle los“. Die neuen Wilden, zu denen sie sich aber nie zählte, bestimmten das Parkett. Galli kommt in Kontakt mit der Cobra Bewegung, studiert bei Martin Engelman, damals Professor für Freie Malerei an der HDK. Das spontane Gestische dieser Kunstrichtung war/ist „ihr Ding“. Keine akademischen Grübeleien, sondern „ran an den Speck“ würde Galli vielleicht sagen. Seit dieser Zeit ist ihre Mal- und Zeichenlust ungebändigt, wirbelnd und hartnäckig, trotz vieler Hindernisse und Handicaps.
Die Landung ist beendet (2002), Vegetarischer Wolf (1991), Klassisches Getümmelbild (1990) oder gleich ganz neue Wortgebilde sind Titel ihrer Bilder oder erscheinen als Schriftzug in den Zeichnungen. Der Schalk ist nicht weit, wenn ein ganz schwarzes Bild heißt: Zur Freude der Fotografen (1996). Unter dem Stichwort „is doch noch keine Sommerlochzeit“ zur Reinhaltung der deutschen Sprache, ihr bissiger Beitrag: cokacolarisieren - zu lesen auf einem der in der Ausstellung gekonnt aufgestellten Karteikartenbilder. Kein Wunder, dass es einen Katalog mit Gallis Arbeiten zusammen mit Anagrammen von Oskar Pastior gibt. Doch die häufig sprachspielerischen und hintersinnigen Titel sollen nicht illustrieren, sondern eher irritieren oder eigene Assoziationen hervorrufen. Aufgeschnappte Sätze aus dem Radio animieren die Künstlerin genauso wie Balladen, Gedichte von Brentano oder Stoffe aus dem Alten Testament. Galli erzählt Geschichten in ihren Bildern, jedoch sind sie, wie die besten Märchen, nie eindeutig. Doch zu schön darf es auf keinen Fall werden, denn dann wirkt es einschläfernd. Jeder soll etwas anderes sehen, entdecken. Figuren ohne Kopf? Und schon macht man sich Gedanken. So ist ein Bildtitel nur konsequent: Euren Vorstellungen sind keine Grenzen gesetzt.
Die Kreuzberger Galerie brunand brunand zeigt noch bis zum 8. Januar erstmalig Gemälde und Zeichnungen, die im Rahmen eines Villa Romana Aufenthaltes 1990 in Florenz entstanden sind. Außerdem fantasiereiche 89 mit Kugelschreiber doppelseitig gestaltete Karteikartenzeichnungen. Absage ans Paradies heißt die kleine, aber feine Ausstellung, die eine Künstlerin würdigt, die es dringend wiederzuentdecken gilt.
Galerie brunand brunand
Eisenbahnstraße 4
10997 Berlin
Opening hours: Thu-Sat, 2-7pm & by appointment
The gallery remains closed on Dec 24th, 25th, 30th, 31st & Jan 1st, with the possibility of arranging private appointments via email at brunand@brunandbrunand.com or calling +49 15117649738
Titel zum Thema Galerie brunand brunand:
Widerstand und Weltbehauptung. Die Berliner Malerin GALLI in der Galerie brunand brunand
Ausstellungsbesprechung: Der menschliche Körper ist ohne Trost – verletzbar und rätselhaft. Er tut, was er will. Da hilft keine Aufklärung, kein Licht, schon gar keine Homöopathie.
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