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Berlin Daily 23.11.2024
Gespräch mit Nanne Meyer

19 Uhr: Künstlerin mit dem Schwerpunkt Zeichnung. Im Rahmen der Finissage zur Ausstellung "(Dis)ordering Things". oqbo | raum für bild wort ton | Brunnenstr. 63 | 13355 Berlin

Wir heben ab! Bilder vom Fliegen von Albrecht Dürer bis Jorinde Voigt im Kuperstichkabinett

von Maximilian Wahlich (31.07.2021)
vorher Abb. Wir heben ab! Bilder vom Fliegen von Albrecht Dürer bis Jorinde Voigt  im Kuperstichkabinett

Käthe Kollwitz, Aufschwebender Tod, an den sich ein Jüngling klammert, 1922/23, Kohle auf Vélinpapier, © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders

Der Weltraumtourismus nimmt seinen Lauf, in rund 20 Jahren ist die erste bemannte Luftfahrt der NASA zum Mars geplant, und dem Gefühl der Schwerelosigkeit eifern wir auf Jahrmärkten mit Schaukeln und Freifalltürmen nach. Fliegen, in die Höhe hinaus, stellt seit jeher ein Faszinosum dar. Ausgedrückt im positiv besetzten Berufsimage eines Piloten oder den apotheosischen Darstellungen fliegender Menschen.

Die Ausstellung Wir heben ab! Bilder vom Fliegen von Albrecht Dürer bis Jorinde Voigt im Kupferstichkabinett stellt rund 80 Arbeiten der letzten 500 Jahre aus der eigenen Sammlung zusammen. Vor himmelblauem Fond sind die Werke in einer kaum bemerkbaren Chronologie angeordnet: von der Verklärung des göttlichen oder transzendentalen Höhenflugs über die physikalischen Erklärungsversuche während der Aufklärung bis zum heutigen Dissens über den technischen Fortschritt, der auch zerstörerische Impulse setzen kann.


Albrecht Dürer, Christi Himmelfahrt (aus: Die kleine Passion), um 1510, Holzschnitt auf Vergépapier, © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Dietmar Katz


Angefangen mit den detailgetreuen Darstellungen von Insekten und Vögeln – Flugwesen, die unsere Neugier begründen – geht die Ausstellung mit Positionen wie Albrecht Dürer (um 1510) oder Hans Thoma (1897) direkt über zum Göttlichen und seinem Gegenpol, dem Teuflischen.
Beiden Daseinssphären wohnt die Fähigkeit des Fliegens inne. In Bewegung gebracht wird der Tod zum rauschenden Gespinst, das wie der sich an den Tod klammernde Jüngling auf Käthe Kollwitzs Grafik Aufschwebender Tod (1922/23), die Menschen hinfort reißt, sie ihrer weltlichen Leiblichkeit entzieht und in eine unbekannte Wirklichkeit überführt. Ob düster und stürmisch wie bei Kollwitz und Gustave Dorés Satans Flug zur Erde (1899) oder in patriarchal schützender Manier wie bei Rembrandts Engel (1641) spannen sich die Flügel der Dämonen und Engel in vielen Darstellungen über uns.

Der thematische Kniff, dass auch das „Gute“ seine Tücken und das Nähertreten an das „Göttliche“ seine Schattenseiten hat, wird in der Arbeit Der Fall des Ikarus von Matisse (1947) oder vier sehr schönen Blättern von Hendrick Goltzius (1588) gezeigt. Gemeinsam ist ihnen, dass Phaeton, Ikarus, Tantalus und Ixion nicht fallen. Sie schweben, scheinen im Fall beinahe zu tanzen, schwerelos und doch stürzen ihre Körper direkt abwärts, kein Aufhalten. Zu sehen ist jedoch auch Goltzius` Lust am Körper, der sich in alle Winde bewegt, man meint den Luftstrom zu erkennen. Ikarus wirkt zwar deutlich klobiger, doch auch hier muntern die Sterne, wie Augen der Nacht das tragische Geschehen auf – die Sonne, eigentlicher Grund seines Absturzes, wird ausgeblendet. So gleitet er geradezu weich, geräuschlos hinab.


Hendrick Goltzius, Phaeton, 1588, Kupferstich auf Vergépapier, © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Volker-H. Schneider

Im 18. Jahrhundert gewinnt das Fliegen mit der Aufklärung an Fahrt. Die phantastischen Figuren verblassten, als das Fliegen zum Gegenstand physikalischer und technischer Neuerungen wurde. Technik als neuer Glaube, als versachlichte Religion der Neuzeit, erwies sich als Schlüssel neuer Erfahrungswelten. Neue Held*innen wie Madame Reichardt, 1820 von Joseph Sidler porträtiert, wurden in Zeichnungen zu Ikonen des Fortschritts stilisiert. Entsprechend schweben sie über den Wolken. Unter ihnen wurden die denkwürdigen Ereignisse zur Erinnerung festgehalten.

Erneut ahnt man direkt nach dem Höhenflug den Absturz: Vom Technikoptimismus angetrieben zeigt die letzte Sektion Werke von Künstler*innen wie Wolf Vostell (1967) oder Peter Sorge (1967), welche sich den zerstörerischen und kriegerischen Ausmaßen des Fliegens zuwenden. Jules Vernes Traum, die Welt zu umfliegen, entpuppt sich plötzlich zu der schrecklichen Möglichkeit eines Kampfjets binnen weniger Stunden die komplette Welt umflogen zu haben. Allerdings handelt dieser Part nicht nur vom apokalyptischen Bombenregen, sondern auch von der Flucht vor den Unruhen dieser Welt: Raketen machen das Universum erreichbar und runden die Erzählung der Ausstellung ab: Am Anfang stand die kleine Fliege und dann kam der Mensch, der in insektengleichen Apparaturen das Weltall bereisen möchte.

Künstler*innen:
Filippo Angeli, Hans Baldung, Jacopo de Barberi, Nicolas Beatrizet, Jacques-Firmin Beauvarlet, Félix Bracquemond, KP Brehmer, Johannes Bronkhorst, Adriaen Collaert, George Cruikshank, Eugène Delacroix, Otto Dix, Gustave Doré, Albrecht Dürer, James Ensor, Willi Geiger, Carlo Giuseppe Gerli, Karl-Christian Glassbach, Hendrick Goltzius, Franciso de Goya, Matthäus Greuter, Haller von Hallerstein, Eberhardt Havekost, Joseph Hegenbarth, Eduard Hildebrandt, Wassily Kandinsky, Anselm Kiefer, Paul Klee, Max Klinger, Käthe Kollwitz, Stasys Krasauskas, Fernand Léger, Walter Leistikow, Max Liebermann, Wilhelm Loeillot, Donatello Losito, Henri Matisse, Wolfgang Mattheuer, Adolph Menzel, Johann Daniel Meyer, Nanne Meyer, Paul Paeschke, Panamarenko, Eduardo Paolozzi, Pablo Picasso, Robert Rauschenberg, Rembrandt van Rijn, Kai Schiemenz, Josef Anton Siedler, Peter Sorge, Klaus Staeck, Simon Starling, Hans Verhagen der Stomme, Jonas Suyderhoef, Hans Thoma, Lodewyk Toeput, Medardus Thoenert, Jorinde Voigt, Wolf Vostell, W.L. Walton, Friedrich Georg Weitsch und Michael Lucas Leopold Willmann.
 
Katalog im Wienand Verlag, Köln, deutsch/englisch, 112 Seiten, ISBN 978-3-86832-597-3, Preis: ca. 17 €.
  
Kulturforum, Kupferstichkabinett
Matthäikirchplatz, 10785 Berlin
Di, Mi + Fr 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
www.smb.museum

Maximilian Wahlich

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Titel zum Thema Kupferstichkabinett:

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