19 Uhr: Künstlerin mit dem Schwerpunkt Zeichnung. Im Rahmen der Finissage zur Ausstellung "(Dis)ordering Things". oqbo | raum für bild wort ton | Brunnenstr. 63 | 13355 Berlin
© SWR/HR/Kurt Bethke (S2). SWR-Presse/Bildkommunikation, Baden-Baden
Bei der diesjährigen Duisburger Dokumentarfilmwoche ging der Hauptpreis an Kulenkampffs Schuhe von Regina Schilling. Die ungewöhnliche Idee, die eigene Familiengeschichte mit der bundesdeutschen (Fernseh-) Realität der Nachkriegszeit an Hand dreier großer Entertainer zu verknüpfen, überzeugte die Jury zu Recht.
Aus heutiger Mediensicht schier unvorstellbar, wie sich ein damaliges Fernsehpublikum unterhalten ließ. So saß bis weit in die 1970er Jahre hinein die ganze bürgerliche BRD-Familie samstagabends auf dem Sofa, um Einer wird gewinnen zu sehen. Kulenkampffs E.W.G. (so die Abkürzung des Quiz´) sollte den europäischen Gedanken fördern und Toleranz lehren - ganz im Sinne der von den Amerikanern gewünschten Re-Education. Dass das Ganze nicht pädagogisch wirkte, dafür sorgten Kulenkampffs Witz und Schlagfertigkeit. Peter Alexander hingegen hatte alles andere als eine scharfe Zunge. Er bezirzte in seiner gleichnamigen Show eher mit seinem österreichischen Charme und ließ so bereits in den 1950er Jahren die vom Krieg traumatisierte Nachkriegsgesellschaft ihre Sorgen und Nöte, aber auch ihre Schuld, vergessen. Lange Zeit war er einer der populärsten Unterhaltungskünstler und sicherte wie Kulenkampff den Sendern Einschaltquoten bis zu 90 Prozent. Der Dritte in diesem von der Regisseurin vorgestellten Männerbund ist Hans Rosenthal. Über dessen Leben wäre eigentlich ein eigener Film notwendig. Rosenthal, der als Zwangsarbeiter unter den Nazis Totengräber war und in Berlin nur knapp den Holocaust überlebte, wurde zu einem der humorvollsten, agilsten und beliebtesten Entertainer des Hörfunks und des bundesdeutschen Fernsehens. 15 Jahre lang hieß es monatlich einmal im ZDF Dalli, Dalli.
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Regina Schilling verknüpft in ihrem ausschließlich aus Archivmaterial bestehenden Film (Montage: Jamin Benazzouz) geschickt Ausschnitte dieser Sendungen und Fernsehmaterial der sogenannten Wiederaufbaujahre mit privaten Aufnahmen, Fotos und Super 8 Material ihrer Familie. Sie erzählt von ihrem herzschwachen Vater, der wie die meisten Väter über seine Kriegserlebnisse schwieg und der, wie viele andere, bei diesen Shows und Sendungen "abschalten" konnte. Nicht nur seine Vergangenheit, sondern auch sein arbeitsreiches und stressiges Leben als Drogist war bei dieser Form der Unterhaltung vergessen. Trotz der "flimmernden Medizin" starb der Vater schwer verschuldet mit nur 42 Jahren. Da war die Regisseurin elf . "Ab da", so erläutert der von Maria Schrader gesprochene Kommentar, "hatte ich drei Ersatzväter" in Form besagter Quizmaster. Doch die Fernsehhelden der Kindheit und Jugend, die versuchen sollten die Kriegstraumata vergessen zu machen, gehörten derselben Generation an. Und so erfahren wir nicht nur, dass Schillings Vater sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatte und dass Peter Alexander ebenso freiwillig bei der Kriegs-Marine war, sondern auch, dass Kulenkampff sich an der Ostfront die abgefrorenen Zehen selbst abgeschnitten hatte. In seinen tadellosen schwarzen Schuhen verbargen sich folglich amputierte Gliedmaßen. Dieses titelgebende Bild steht paradigmatisch für über 20 Jahre bundesdeutsche Familien- und Fernsehgeschichte.
Regina Schilling gelingt etwas äußerst Seltenes. Sie schafft es auf kluge und eindringliche Weise, Persönliches und Politisches miteinander zu verbinden und gleichzeitig 90 Minuten lang Fernseh-, Medien- und Kulturgeschichte zu dokumentieren.
Dass Kulenkampffs Schuhe in der ARD/SWR Mediathek, in der der Film leider nur kurze Zeit verfügbar war, über 160 000 mal abgerufen wurde, spricht dafür, dass Fernsehen noch funktionieren kann. Wie gut, dass dem Film durch diesen Preis erneute Aufmerksamkeit gewiss ist. Hoffen wir also, dass er nicht nach Ablauf irgendwelcher Fernsehrechte für immer verschwindet.
Titel zum Thema Regina Schilling:
"Kulenkampffs Schuhe" gewinnt bei der 41. Duisburger Dokumentarfilmwoche
Filmbesprechung: Aus heutiger Mediensicht schier unvorstellbar, wie sich ein damaliges Fernsehpublikum unterhalten ließ.
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